Der Künder der Kleiderrevolution

Wie der Showstar, Chansonnier und Schauspieler Akihiro Miwa der modernen Schwulenbewegung in Japan ihren Anstoß gab und zum Enfant terrible der Hauptstadt avancierte  ■ Aus Tokio Georg Blume

„Ich bin schon einmal gestorben, deshalb will so leben wie ich wirklich bin.“ Der Tag, an dem Akihiro Miwa sein Lebensmotto fand, ist einer der dunkelsten der Menschheitsgeschichte. Es war der 9. August vor 49 Jahren in Nagasaki, und die Amerikaner warfen ihre zweite Atombombe ziemlich genau über dem Kopf des zehnjährigen Akihiro ab. Er überlebte, viele seiner Freunde starben. Das Gift der Bombe veränderte den Jungen, doch statt ihn zu töten, stärkte es ihn. „Von nun an konnte ganz Japan gegen mich sein“, erzählt der heute 59jährige Showstar, Chansonnier und Schauspieler. „Ich konnte zu mir selbst stehen, weil ich immer daran dachte, daß ich schon einmal gestorben war.“

So wurde Akihiro Miwa in Japan berühmt, weil er von Anbeginn einer steilen Karriere seine Homosexualität mit auf die Bühne nahm und dem prüden Nachkriegskonsens der Tokioter Kultureliten schon früh seine bezaubernde Emotionalität entgegenwarf. Demnächst singt Akihiro Miwa im Tokioter Viertel Shibuya wieder die alten Chansons, Lieder, die er selbst komponierte, und natürlich Edith Piaf, die in Japan niemand besser imitierte. Womöglich tritt er dann in einem langen schwarzen Abendkleid mit einer der modernen femininen Kurzhaarfrisuren vor sein junggebliebenes Publikum. Der Anfang der neunziger Jahre entdeckte „Gay- Boom“ ist in Tokio bisher nicht abgeklungen, und sogar Miwas frühe Filme werden derzeit mit neuem Erfolg gezeigt. Der umworbene Altstar spürt nur zu gut, daß es für ihn in diesen Tagen keinen Anlaß zur Sentimentalität gibt: „Ich habe im Laufe der Zeit viele gute Leute erlebt, die aufgrund der Schwulendiskriminierung elendig gestorben sind. Früher gab es viele, die von der Firma entlassen wurden oder Selbstmord begingen, nur weil ihre Homosexualität bekannt wurde. Doch so etwas geschieht nicht mehr. Für die japanischen Kinder von heute ist Schwul- oder Lesbischsein schon eine Selbstverständlichkeit.“

Wenn diese optimistische Analyse so zutrifft – es gibt auch Zweifel daran – hat Akihiro Miwa selbst viel dazu beigetragen. Schon 1957, bei seinem ersten Auftritt in Tokios legendärer Schwulenkneipe „Goldenes Paris“, als ihn sogar das geneigte Publikum verwundert bis verständnislos anstarrte, während die Zeitungen den 22jährigen zum Enfant terrible der Hauptstadt erklärten, gab Miwa der Kritik keinen Schritt nach: „Ich verkünde euch eine Kleiderrevolution“, behauptete er damals und blieb bei Satinstoffen und Spitzenstrickereien.

Mit seiner Unbeugsamkeit beeindruckte Miwa bald die wichtigsten Intellektuellen seiner Zeit. Wenn er deshalb freimütig von den „Männern, die ich liebte“, berichtet, zählen zu ihnen auch die beiden schillerndsten Kultfiguren der japanischen Nachkriegszeit: Yukio Mishima, der später weltberühmte Schriftsteller, und Keiichiro Akagi, der vielleicht heißgeliebteste japanische Filmschauspieler aller Zeiten. Akagi verkörperte in den sechziger Jahren eine in Japan bislang völlig unbekannte Individualität, man nannte ihn deshalb den „japanischen James Dean“. Das Verhältnis zu Miwa wurde erst nach seinem frühen Unfalltod 1962 von der Presse aufgedeckt. Öffentlich bekannt war hingegen die auch künstlerisch einmalige Beziehung zwischen Miwa und Yukio Mishima.

Mit ihnen trafen sich zwei Männer gänzlich unterschiedlicher Herkunft: „Mishima war damals ein junger Schriftsteller, der gerade populär wurde und alle Blicke auf sich zog. Er entstammte einem elitären Elternhaus, hatte die beste Universität besucht und im Finanzministerium gearbeitet, während ich antiautoritär eingestellt war, zu diesem Zeitpunkt weder Geld noch Familie besaß und seinen Starkult verabscheute.“ Trotzdem befreundeten sich die beiden Männer. Mishima hatte bereits in seinem ersten großen Erfolgroman „Bekenntnisse einer Maske“ im Jahr 1949 ein (literaturhistorisch in Japan bis heute einmaliges) Geständnis seiner Homosexualität abgelegt, das in der japanischen Literaturkritik freilich unverstanden blieb oder als Beschreibung von Jugendsünden abgetan wurde, die dem öffentlichen Ruf des Schriftstellers nicht schaden sollten. Dieser Interpretation gehorchend versteckte Mishima bald seine Homosexualität hinter einer Fassade militaristischen Gebarens, die später nur noch Miwa durchbrechen konnte. Denn Mishima blieb im Inneren tief gespalten. Noch zehn Tage vor seinem Selbstmord durch rituelles Bauchaufschlitzen besuchte er seinen alten Liebhaber und hinterließ „sehr, sehr viele Rosen“.

Die letzte Begegnung der beiden markiert den symbolischen Bruch mit Japans alter homosexueller Tradition. Denn Mishima besann sich in seinen späteren Werken immer mehr auf alte Samurai- Zeiten, die noch heute als „goldenes Zeitalter“ der Homosexualität in Japan zu Recht oder zu Unrecht verklärt werden. Die frei geäußerte Homosexualität der älteren Samurai war damals freilich an die Sklavendienste jüngerer Soldaten gebunden, und Frauen durften ihrer Neigung zum gleichen Geschlecht schon gar nicht nachgehen. Doch Mishimas Faszination für Miwa, die auch dann nicht nachließ, als der Schriftsteller politisch bereits zum Rechtsextremismus gezählt wurde, deutet schließlich auf sein intimes Verständnis für den revolutionären Part des anderen: der nämlich hatte der Samurai-Tradition als erster ein freies und lustvolles Ausleben der Homosexualität entgegengesetzt.