Meine Ma vom andern Ufer

Kinder homosexueller Eltern – Zu Perversion und Sittenverfall verdammt? Die Situation von Kindern lesbischer Mütter und schwuler Väter – Reaktionen von Staat und Gesellschaft  ■ Von Clemens Glade

„Ich schäme mich total für meine Mutter“, berichtet der 17jährige Marc. Seit er denken kann, weiß er, daß seine Mutter lesbisch ist. Er liebt sie und akzeptiert ihr Lesbischsein. „Wenn wir allein sind, dann zeigt er mir sogar manchmal Frauen, und wir führen quasi Männergespräche“, erzählt sie, „aber nach außen hin ist es ihm unsagbar peinlich.“ Alle seine Freunde kennen und mögen seine Mutter, aber er könnte es sich niemals vorstellen, ihnen zu erzählen, daß sie lesbisch ist. Seine Mutter hatte ein frühes Coming-out, wollte aber immer schon ein Kind.

Die 55jährige Marianne hingegen stellte es erst sehr viel später fest und erzählte es ihrer Tochter, als diese zwanzig war. Der war es gleich, welche sexuellen Vorlieben ihre Mutter hat. Für sie hat sich nichts verändert, zumal sie längst nicht mehr zu Hause wohnt und somit nicht mit der mütterlichen Sexualität konfrontiert ist.

Für den 25jährigen Frank war die Homosexualität seines Vaters schon eher ein Problem. Weniger wegen der Vorurteile und Repressionen der Gesellschaft, denen sein Vater als Pastor nach seinem öffentlichen Coming-out ausgesetzt war, sondern weil Franks Mutter ihn zum „normalen“ Pol in der Familie aufgebaut hatte. „Diesen Schuh habe ich mir auch voll angezogen. Mein Bruder behindert, meine Schwester radikalfeministisch. Da mußte ich einfach heterosexuell sein. Schwiegermutterglück quasi“, fügt er grinsend hinzu. Irgendwann aber entdeckte Frank, daß auch er schwul war. „Mein Coming-out hat sich durch die Homosexualität meines Vaters verzögert, obwohl ich durch meine liberale Erziehung das beste Zeug für ein frühes Coming-out gehabt hätte. Zu den Erwartungen, die meine Mutter auf mich projiziert hatte, kam in zweiter Linie dann die Gesellschaft hinzu.“

In den meisten Fällen erleben die Väter und Mütter ihr Coming- out verhältnismäßig spät, eben dann, wenn schon Kinder aus einer heterosexuellen Beziehung da sind. „Mein Vater erzählte es mir, da war ich 14“, erinnert sich Marion, „meine erste Reaktion war: Ich bin gar nicht richtig gewollt. Denn wie kann ein Schwuler Kinder haben wollen?“ Diese Reaktion resultierte aus ihrer Erfahrung. Schwule kannte sie nur aus Witzen und vom Hörensagen. „Aber ich habe sehr schnell gemerkt, daß das nicht stimmt. Dann wurde ich auch ziemlich kämpferisch, wenn jemand in meiner Nähe Schwulenfeindliches losließ.“

„Bei uns war das eigentlich nie ein Problem. Ich bin bei meinem Vater und seinem Freund aufgewachsen. Meine Mutter lebte mit uns zusammen, war aber jobtechnisch oft unterwegs“, berichtet der 23jährige Marek, „erst in der Schule wurde es ein Problem, und ich merkte: Darüber darf ich nicht reden, sonst gucken die Leute scheel. Ich bin heterosexuell und hatte nie das Gefühl, ich müsse auch schwul sein, weil mein Vater schwul ist.“ Er lächelt: „Es war wichtig, mit fünfzehn meine erste Freundin heimzubringen. Papa war richtig vernarrt in sie. Wahrscheinlich bin ich durch die Homosexualität meines Vaters toleranter allen Randgruppen gegenüber. Das Problem war nur die Gesellschaft.“

Wachsen Kinder in einer homosexuellen Beziehung auf, erleben sie Schwul- und Lesbischsein als das, was es ist: als das Natürlichste auf der Welt. Eine amerikanische Studie ergab, daß Kinder, die in lesbischen Partnerschaften aufwachsen, emotional stabiler sind als Kinder aus heterosexuellen Partnerschaften. Auch Dr. Michael E. Lamb, zuständiger Abteilungsleiter im National Institute of Child Health and Human Development, erklärt: „Kinder, die von schwulen oder lesbischen Eltern aufgezogen werden, weisen in ihrer Entwicklung oder in ihrer emotionalen Verfassung keine spezifischen Defizite auf.“

Doch Staat und Gesellschaft geht es weniger um das Wohl der Kinder als viemehr um Aufrechterhaltung bestehender Zustände. Dies zeigt der folgende Fall: Seit drei Jahren sind Lena und Dorothee zusammen und leben seit gut zwei Jahren mit Lenas dreijähriger Tochter und ihrem siebenjährigen Sohn in einer gemeinsamen Wohnung. Als Lena beschließt, aus der mitteldeutschen Kleinstadt in die Großstadt zu ziehen, und das Sorgerecht beantragt, wird es dem Vater zugesprochen, da sich, argumentiert das Gericht, die Homosexualität der Mutter negativ auf die psychische Entwicklung der Kinder auswirken kann. Zudem muß die Mutter jetzt auch noch um das Umgangsrecht bangen, da sie allein durch ihr offenes Lesbischsein ihre Kinder „indoktrinieren würde“ und es „dem Wohl der Kinder eklatant widerspreche“, wenn ihre Lebensgefährtin die Kinder betreut. Daß die Tochter seither leidet und zurück zur Mutter will, kümmert außer Lena und Dorothee niemanden. Eine Gesellschaft, die ihre Kinder so behandelt, lehrt sie, daß Menschen, die offen und ehrlich sind, letztendlich dafür bestraft werden. So unterschiedlich die verschiedenen Beispiele auch sein mögen: nicht das Schwul- oder Lesbischsein der Eltern an sich wurde zum Problem für die Kinder, sondern vielmehr das Unvermögen der Gesellschaft und des Staates, damit umzugehen. Es ist angesichts solcher Zustände unverantwortlich und grenzt geradezu an Selbstbetrug, Kinder in die Welt zu setzen und ihnen zuzumuten, in dieser Gesellschaft groß zu werden.

(Alle Namen wurden geändert)