: Stau und Humor in der Architektur
■ Der Deutsche Architektentag in der Handelskammer und die Jean Nouvel-Ausstellung im Kunstverein demonstrierten zwei Konzepte der Diskussion über Architektur Von Till Briegleb
Deutscher Architektentag
Flucht nach vorn unter dem Zeitdruck rapider städtischer Wandlungsprozesse oder Ausbreiten einer neuen Spielwiese für Architekturtheoretiker? Selbstkritische Artikulation des eigenen Unvermögens oder wortreicher Poker mit Schuldzuweisungen für die vielfach gescheiterten Konzepte einer humanen und gleichzeitig urbanen Stadtentwicklung? Das Thema „Risiko Stadt?“ des Deutschen Architektentages 1994, der anläßlich des Hamburger Architektursommers letzte Woche in Hamburg stattfand, ließ für alles Platz. Das Vektorspiel der Zeitfragen bewegte sich zentrifugal vom Konsens der lebenswerten Stadt hinweg in die weiten Ebenen der Möglichkeiten und Anschauungen. Dank versammelter Extrempositionen konnte der mit circa 40 Stunden Konzentration in drei Tagen ausgestattete Teilnehmer immerhin ein Panorama von Polarisationen erfahren, über deren Nützlichkeit er dann selber zu entscheiden hatte.
Zwischen der Brutalität des Pragmatikers (Ulrich Pfeiffer, Bonner Marktforscher und Politikberater), der die gnadenlose Billig-Zersiedlung des großstädtischen Umfeldes als einziges Mittel im Wohnraumkrieg propagierte, und dem Prospekt der Grünen Metropole, den Oberbaudirektor Egbert Kossak hier nicht zum ersten Mal entwarf (Stichwort: Innerstädtische Verdichtung), lag ein entscheidender Dissenz. Leider konnte dieser wie viele andere nicht Gegenstand einer konstruktiven Diskussion sein, weil die Organisatoren zwar repräsentative Vorträge (etwa ein unverständliches englisch-ähnliches Gemurmel von Rem Koolhaas über neue Urbanität und die geistige Multifunktionalität des neuen Architekten) aber keine einträglichen Debatten organisierten. Wirkliche Gegensätze wurden in verschiedene Veranstaltungen oder in die parallel stattfindenden Arbeitsgruppen verbannt.
Ein weiterer Spannungsbogen bildete die gerade in Hamburg so ungenügend geführte Debatte über den genius loci. Wie vertragen als angeblich homogen verstandene Städte extravagante Architekturleistungen? Was ist überhaupt ein adäquater Verweis von Architektur auf die gebaute Umgebung? Genügt es Material, Traufhöhen und Stilelemente in einen optischen Gehorsam zu bringen, oder wäre eine intellektuelle Referenz an die Umgebung, die keinen scheinbaren ästhetischen Konsens sucht, nicht die besser Verarbeitung des genius loci? Auch diese Debatte verstreute sich in Anmerkungen verschiedener Referenten über die Veranstaltungen.
Ebenso blieben die Frage nach der erzieherischen Kraft von Architektur und Stadtplanung oder die Suche nach der Verantwortung für das krasse Mißverhältnis von entwickelten, oft breit akzeptierten Ideen zu den Problemen europäischer Millionenstädte und ihren lediglich sporadischen Umsetzungen running jokes der Veranstaltung. Architekten forderten die Politik zu mehr Dialog auf, Politiker (Bundesbauministerin Schwaetzer schriftlich, Senator Thomas Mirow in seiner Rede, Kossak in seinen Erörterungen) verwiesen auf die konstruktive Mitarbeit aller, und beide blendeten die ökonomische Bedingtheit von Architektur und Städtebau, nämlich daß heutzutage wesentlich die Investmentfirmen Herr über Ort und Gestalt der Städte sind, möglichst weit aus.
Credo der Veranstaltungen? Wir können die Probleme eh nicht lösen, aber wir können noch mehr darüber reden. Oder anders gesagt: Konzept gut, Rezept böse. Was schließlich nichts anderes bedeutete, als ein hilfloser, aber laut geäußerter Appell an den Ethos und die Verantwortlichkeit des Architekten für metropole Befindlichkeit.
Den durch die Menge der Referenten meist nur schematisch erörterten Ansätzen standen vier Diavorträge europäischer Ausnahmearchitekten in wohltuendem Kontrast gegenüber: Jean Nouvel (siehe unten), Francoise Jourda (eine von drei referierenden Frauen unter unzähligen Herren), Nicholas Grim-shaw und Wiel Arets demonstrierten am konkreten Objekt die Chance von intellektueller Architektur hinter den Grenzen germanischen Kleingeistes. So verschieden ihre Ansätze auch sind - der die Arbeitswelt öffnende Technizismus Grimshaws, die ein Sozial-Idyll provozierende Haus-im-Haus-Architektur von Jourda und Perraudin, der kühle Modernismus von Arets oder der metaphorische High-Tech-Humor von Nouvel -, hier wurden endlich Konzepte differenziert, die einer beispielhaften Diskussion das Fleisch innovativer Phantasie auf die Rippen legten.
Jean Nouvel
Schlagartig weltberühmt wurde Jean Nouvel 1987 durch die Fassade des Institute du Monde Arabe in Paris. Was ihm hier mit einer bestechend schlichten Idee gelang, stellt sicherlich eine der geglücktesten Momente der Kommunikation zwischen Orient und Okzident in der Geschichte der Architektur dar. Mit der Installation einer monumentalen, motorgesteuerten Wand aus Fotoblenden, mit der einerseits Licht und Temperatur in dem Gebäude gesteuert werden können, und zum anderen die abbildfreie Kunst der islamischen Welt in eine technische Arabeske übersetzt wird, verdichtete Nouvel die heterogenen Aspekte der Bauaufgabe in einer überlegenen Lösung. Gleichzeitig demonstrierte Nouvel hier einen der wichtigsten Grundlinien seiner zwanzig-jährigen Arbeit, die sicherlich nicht zum geringsten Teil seinen spektakulären Erfolg bedingt: der Humor.
Wirkt das Öffnen und Schließen der verschieden großen Blenden wie ein tausendfaches Augenzwinkern, und somit noch recht subtil, so sind andere „Witze“ Nouvels schon weitaus plakativer. Der Turm ohne Ende, ein Plan für La Defense in Paris, überhöht das monumentale Hochhaus noch mit einem Glaszylinder, der das Ende gegen den Himmel kaum erkennbar werden läßt. Sein Kongreßzentrum für Tours wirkt wie ein halb eingegrabener Helm mit Visier, eine Schokoladenfabrik hat die Form eines 200 Meter langen Riegels und die absichtliche Verrostung der Fassaden gehört zu den wiederholten Scherzen Nouvels.
Doch seine Architektur wäre banal, basierte sie nur auf derartigen erfrischenden Albernheiten. Seine räumlichen Kompositionen und die sinfonische Ausarbeitung von Lichtspielen sowie die Gaukelei mit scheinbarer Immaterialität durch transparente, durchlässige und spiegelnde Materialien geben seinen Schöpfungen einen klaren Stil, der aber jede plumpe Wiederholung formaler Elemente vermeidet.
Die Ausstellung im Kunstverein beschäftigt sich nun vordringlich mit diesen reflektierten Merkmalen in der Arbeit Nouvels. Unter den Stichworten „Immaterialität, Metapher, Interface“ wird auf immateriellem Weg (Dias und Filme) ein vordringlich assoziatives Eintreten in die Gedankenwelt Nouvels ermöglicht. Die Inszenierung bunter Ausschnitte aus dem Werk des sich offen auf den Film beziehenden Architekten wird begleitet von einer Publikation des Kunstvereins In Bewegung, die am Beispiel Nouvels und anderer Themen „Denkmodelle zur Veränderung von Architektur und bildender Kunst“ zu entwickeln versucht.
Ausstellung bis zum 14. August, Di-So, 11-18 Uhr, Do 11-21 Uhr
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