: Wenn das nicht voll null Hirnakrobatik ist!
■ Wie die Bremer Schultheatergruppe „Young Musical Fools“ am New Yorker Broadway kackfrech das Musical „Casting“ zur Uraufführung brachte und umso heldenhafter unterging Aus New York Til Mette
Haben Sie eigentlich einen stabilen Sinn fürs Schöne, einen festen, auf solidem Grund gebauten guten Geschmack? Also ich nicht. Da ich hier zum Thema Musical was schreiben soll, fällt mir grad ein gutes Beispiel ein: „MUSICALS“! Seitdem ich mit Ina in New York lebe, bin ich schon dreimal Besucher eines solchen Broadway-Spektakels gewesen. Nie ging von mir die Absicht aus, sondern von lieben Gästen aus Deutschland, die schon Wochen, bevor sie hier anlanden, mich bitten, ob ich nicht um Karten für ein „Aber-nich-so'n-Kitsch-du-weißt-schon-was-ich-meine-Musical“ kümmern könne. Zum Dank für unsere Bemühungen als Feierabendreiseberater, Kartenbesteller, Nietenhosenbesorger, Laptop-Preisvergleicher, Fachzeitschriften-Einkäufer und „Kannste-mal-die-Telefonnummer-von-der-Historischen-Gesellschaft-in-Mass achusetts-rauskriegen-und-eben-mal-rüberfaxen?“-Rechercheur haben wir u.a. eine Hängematte, ein' so'n chinesischen Drachen, einen 100-Dollar-Büchergutschein und drei Eintrittskarten für ein Musical bekommen.
Und nun gestehe ich folgendes: Als da letztes Mal im Finale sich die beiden Hautpdarsteller krichten und umnebelt vom Broadwaydampf auf einer gigantischen Hochzeitstorte tanzend in den Bühnenhimmel auffuhren...also da ist mein Verstand, mein Sinn fürs Schöne und Edle mir durch die Schädeldecke geknallt, um mit dem Paar da oben quietschend sein Tanzbein zu schwingen. Noch Tage danach habe ich vor mich hingesungen: „I got rhythm, you got rhythm, da-da-da...“, und diese kleine Episode erzählte ich vor zwei Tagen einem jungen Mädchen, worauf sie mich entsetzt anschaute und sagte: „Iiiiie, was für'n Kitsch!“
Bitte denken Sie jetzt nichts Falsches. Normalerweise erzähle ich kleinen Mädchen nie, wie toll ich vom Bühnendampf umnebelte Hochzeitstorten finde, die sich aus der Versenkung mit einem tanzenden Brautpaar emporheben. Aber diese junge Dame gehörte zu einer Gruppe von Schülern aus Bremen, die hier im „Pace Downtown Theatre“ (100 Meter Luftlinie zum Broadway) ein Musical spielen. Ich glaube, an dieser Stelle freut sich mein zuständiger und schwer geschätzter Redakteur Manfred Dworschak, daß ich nun zu Potte komme (Bitte den vorangegangenen Satz nicht kürzen).
Die Idee, in Bremen ein Musical für Schüler zu schreiben und es dann irgendwo zwischen Verden und Bederkesa aufzuführen, also auf die Idee wär auch vor ca. 25 Jahren unser Jungscharleiter (CVJM) gekommen, wenn wir uns nicht doch immer wieder mehrheitlich fürs Würstchenbraten entschieden hätten. Aber die Idee, ein Bremer Schüler-Musical mitten in New York in Broadway-Nähe aufzuführen..., das ist nicht nur kack-frech, sondern auch sehr sympathisch. Mathias Siebert hat das Stück geschrieben, es heißt „Casting“ (was soviel wie „vortanzen“ bedeutet), und die Geschichte beginnt mit einer Zeitungsannonce, in der zu lesen ist: „Habe Geld für Musical. Suche nach jungen Leuten, Schauspielern und Sängern mit oder ohne Erfahrung, Tanzen muß man auch nicht können“.
Und genauso muß es sich wohl auch in Bremen im wirklichen Leben zugetragen haben: Da gibt es einmal den Herrn Hans-August Kruse, den Kulturmanager mit dem Zugang zum Geld. Dann gibt es den Mann, der fürs „Casting“ zuständig ist, den Autoren und Komponisten Mathias Siebert, der sonst als Lehrer und als Hörspielautor für Radio Bremen arbeitet. Und schließlich gibt es die, von denen nicht verlangt wird, daß sie tanzen, singen oder schauspielen können, die „Young Musical Fools“, eine Schülertheatergruppe, die seit sieben Jahren mit Mathias Siebert zusammenarbeitet.
Nun haben sie also Sponsoren gefunden, die mit ca. 200.000 Mark den New-York-Trip bezahlen. Am Premierenabend waren von 600 Sitzplätzen nur 60 besetzt, am nächsten Abend nur 10. Es soll aber besser werden, da Schulklassen angefahren werden.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich in ein Musical gehe, dann will ich Hopsassa und Trallala, mit den Füssen ein bißchen mitwippen und vor allem null Hirnakrobatik. Zum Teil wir das auch von dem Bremer Musical erfüllt, z.B. beim Refrain des großen Finale-Songs: „Zwei Schritt vor und ein' zurück / So komm ich mit dir zum Glück...“ Anderswo heißt es: „Nur einmal im Leben / Einfach alles geben / Nur einmal ohne Sinn und Verstand / Im Kreise sich drehen...“ Na wenn das nicht voll null Hirn-akrobatik ist?! Die Schauspieler haben den Text ja nicht geschrieben, sondern nur gesungen, und das oft sehr gut und mitwippbar.
Kim Kuentzlin und Katrin Meinken haben mir als Sängerinnen sehr gut gefallen, Michael Wittig und Anne Hirth haben komisches Talent und sind oft die rettende Insel in dem Meer von langatmiger Schwafelei, und für meine nach oben offene Kitschskala legen Katrin Meinken und Rainer Sieling eine hinreißende Knutsch-Szene aufs Parkett. Aber die Choreographie war ordentlich, hausbacken und einfallslos. Nie richtiges Hopsassa.
Und soll ich noch was zur Bühnendekoration sagen? Zwischen dem ganzen Gerümpel, was auf der Mietbühne (17.000 Dollar für acht Aufführungen) herumstand und sich Bühnenbild nannte, war auch eine kleine Betonmischmaschine, die den langen Weg von Bremen nach New York gemacht hat, nur um mal stolz wie eine Betonmischmaschine den Kindeskindern zu erzählen, daß sie mal auf einer Broadwaybühne rumgestanden hat.
Für alle, die sich selbst davon überzeugen wollen, sei gesagt, daß das Stück noch bis Ende dieser Woche im Pace Downtown Theatre, Spruce Street, New York, New York für 18 Dollar zu sehen ist. Oder Dienstag abend als Bericht bei „Buten & Binnen“.
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