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Nur eine Lotterie mit bunten Scheinen

■ Mit ständig neuen Privatisierungsregeln spielt Rumänien Marktwirtschaft

Am Bukarester Platz der Einheit, genau vor dem halbleeren Großkaufhaus „Einheit“ stehen immer ein paar Frauen und raunen den Passanten mit monotoner Stimme zu: „Wir kaufen Aktien, wir kaufen Aktien!“ Zwar sind es in Wirklichkeit keine Aktien, die an dieser Straßenbörse gehandelt werden, aber dennoch wissen alle was gemeint ist: die vom Staat ausgeteilten Eigentumszertifikate.

Seit nunmehr fast vier Jahren verspricht der Staat allen der 23 Millionen rumänischen Bürger, die über 18 Jahre alt sind, per Gesetz einen Anteil am Staatseigentum. Doch von den 30 Prozent der Unternehmensmasse, die der Staat unter 15,5 Millionen Rumänen aufteilen will, haben diese bislang eben nur die sogenannten Eigentumszertifikate gesehen, die sie irgendwann einmal in Unternehmensaktien eintauschen dürfen. Die Werbesendungen, die das Fernsehen einst ausstrahlte, um zu erklären, was der Bürger mit den Zertifikaten anfangen könne, haben die meisten vergessen. Viele tragen die bunten Scheine lieber zur Straßenbörse, um sie zu Spottpreisen zu verkaufen. Diese sinken seit Jahren – so wie die Hoffnung der meisten, daß es mit dem Aktientausch doch noch funktionieren werde: Ein Staatseigentumsfond, der 70 Prozent der Unternehmensmasse an Großinvestoren verkaufen, und fünf Privateigentumsfonds, die besagte 30 Prozent unter den Bürgern aufteilen sollen, sind zu ebenso undurchschaubaren wie untätigen bürokratischen Apparaten herangewuchert.

Dabei heißt es, die Privatisierung werde vorbereitet. Aber ohnehin ändern sich deren Regeln immer von neuem. So kam bei Parlamentariern in Bukarest vor einiger Zeit die Idee auf, daß jeder Bürger nur ein Zertifikat gegen Aktien eintauschen dürfe, was umgehend einen Krach an der Straßenbörse auslöste. Der Reformminister Mircea Cosea beeilte sich, die Idee als irrealen Vorschlag zurückzuweisen. Er, der, wie es scheint, einzig ernsthafte Reformer in der rumänischen Regierung, will nun ernst machen mit der Privatisierung. Nachdem der von ihm geleitete Reformrat vor Monaten eigens aus Prag angereiste Experten konsultierte, werden zur Zeit neue Regeln nach tschechischem Modell ausgearbeitet. Demnach sollen die Privateigentumsfonds in Investitionsgesellschaften umgewandelt werden, an denen sich die Besitzer der Zertifikate beteiligen können. Daneben besteht weiterhin die Möglichkeit, Zertifikate gegen Aktien einzutauschen. Im Gespräch ist auch, statt 50 nur 30 Prozent der Unternehmensmasse an die Bevölkerung zu verteilen. In jeden Fall aber soll im Herbst mit der Massenprivatisierung begonnen werden.

Bislang ist nur der kleinste Teil der mehr als 6.000 Unternehmen an Investoren, zumeist ausländische, verkauft worden. Ihr größter Teil wurde mit immer neuen staatlichen Krediten am Leben erhalten, ohne daß die Gelder zur Restrukturierung und Modernisierung verwendet worden wären. Die Vergabe solcher Kredite, die häufig über die Notenpresse finanziert wurden, hat die Inflationsrate nicht nur im letzten Jahr über die 300-Prozent-Marke getrieben und im Staatshaushalt eine riesiges Defizit hinterlassen.

Wegen solcher Praktiken und ihrer Folgen gerät Rumäniens Regierung zunehmend unter Druck, auch des Auslands. Ganz undiplomatisch kritisierten kürzlich die Teilnehmer einer Konferenz der G-24-Staaten in Brüssel das Land. In einer offiziellen Erklärung mahnten sie entschlossene Reformen an und forderten eine schnellere Privatisierung ein. IWF und Weltbank haben ihrerseits zwar im Mai die seit langem gestoppten Kreditprogramme für Rumänien wieder aufgenommen – nicht jedoch ohne jenes Garantieabkommen, das der IWF Monate zuvor mit der rumänischen Regierung ausgehandelt hatte. Im Februar vom Parlament abgesegnet, unterwirft es Rumänien einer strengen und fortlaufenden Kontrolle durch die beiden internationalen Finanzinstitute und verpflichtet das Land unter anderem zu einer schnellen Privatisierung.

Mircea Cosea selbst meint, Rumänien könne „nicht mehr warten“: „Die Makrostabilisierung, die wir erreicht haben, ist sehr fragil, und sie wird sich nicht ohne gründliche Veränderungen konsolidieren lassen – in den Strukturen, der Mentalität, den Beziehungen zwischen den Produzenten und Konsumenten, was letztlich eine Marktwirtschaft bedeutet.“

Doch erst einmal streiken seit Dienstag letzter Woche Zehntausende von Beschäftigten für 50prozentige Lohnerhöhungen. Falls die Regierung darauf nicht eingeht, wollen sie mit einem Generalstreik ihren Rücktritt fordern. Die Entschlossenheit der Streikenden sollen Aktionen zeigen wie die vor dem Regierungsgebäude am Bukarester Siegesplatz: das symbolische Begräbnis der Marktwirtschaft. Keno Verseck

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