: Auch gibt es dies und jenes zu lachen
Thingel-Tangel im Syber-Space: HJ Syberberg mit Nietzsche-Projekt im Marstall zu Weimar ■ Von Mariam Niroumand
Im fabrikfrischen Opel Corsa („Oder haben Sie was gegen Spaß?“) am ersten Tag dieses Jahres, der sich mit Fug und Recht einen Sommertag nennen durfte, ab nach Weimar. Dort war es zunächst nett, es fiepten die Celli, es klirrten die Gläser, allenthalben standen Chöre und gurrten vor sich hin. In ehemals gutbürgl. Kaschemmen spielt man heute ein bißchen Bohème: „Bodies and Politics“ steht über einer, in der zur Fotoausstellung Erdbeershakes gereicht werden.
Hans Jürgen Syberberg war mit seinem Nietzsche-Projekt vor den Erdbeershakes und Opel Corsas in den Marstall geflohen, denn er hat was gegen Spaß. Nördlich vom Schloß gelegen, vom Deutschritterorden errichtet, später für großherzogliche Pferdezucht genutzt, „wurde im Marstall ab 1939 von der Gestapo Quartier genommen“, so nennt es Syberberg. Nach 1945 sowjetische Militäradministration und so weiter.
Solchermaßen in eine Topographie zwischen Weimarer Klassik, starrkdeutscher, großherzoglicher Vorzeit und dem Terror plaziert, erwartete man von Syberbergs Installation zum 150. Geburtstag seines Lieblingsphilosophen eine Fortsetzung seines ganz idiosynkratischen Deutschlandliedes. Nietzsches Krankheit in Turin, seine Begegnung mit dem Pferd (er fiel einem gepeitschten Gaul um den Hals) und die Besetzung Turins durch die Nazis kämen hier im Marstall glasklar zusammen.
Klar, was Syberberg von Nietzsche will: Wenn's hoch kommt, Nietzsche rauseisen aus dem Dreigestirn mit Marx und Freud, um den einen als Diktator allgemeiner Mittelmäßigkeit und den andern als Bürokraten des dem Künstler vorbehaltenen Seelenlebens zu erweisen, um den letzten schließlich zu retten als vormodernen Großkünstler, als Unzeitgemäßen.
Es waren verschiedene Herren geladen und nicht erschienen, die „ihren Nietzsche“ vortragen sollten: Zunächst Einar Schleef, der „durch Erkrankung seiner Augen“ ausfiel. Dann Peter Sloterdijk, Marcel Reich-Ranicki, Werner Herzog, Wim Wenders. Zugesagt hatten Heiner Müller, der dann aber doch erkrankte, Hartmut Lange, Dramatiker, der leider gar nicht erkrankte, sondern ebendann las, und Hans Wollschläger, der am Mittwoch abend lesen wird.
Lange hatte, unter abgeschrägten Brillengläsern schon gleich zu Beginn eher mißmutig auf die kurzen Sommerhosen äugend, sich vor allem an Briefen festgebissen, in denen es um Wahn und Einsamkeit ging. Aber Moment, erst noch das Bühnenbild, eine Lachnummer ganz für sich allein: Im Stall eben, vier Bildschirme. Links Buchenwald, die Gedenkstätte, als Schicksalsgelände mit düsteren Wolken ganz verhangen, ein bißchen Thing-Spielort, mysteriös, verlassen, geisterhaft, als habe dort eine Beschwörung, ein Stammesritual stattgefunden. Auf dem andern das Antiken-Face der Clever, als Ikone; wieder woanders das Goethe-Archiv, mit Handkamera wacklig erfaßt, dann natürlich Röcken, der Ort, an dem Nietzsche geboren ward. Als Cheap Thrill dann noch ein Plaste-Replikat der Tessenowschen „Neuen Wache“. Thingel-Tangel im Syber-Space, mit freundlicher Unterstützung von Daimler-Benz, Deutscher Bank, Veba und Hochtief.
Nach etwa einer halben Stunde brach Lange ab. Das „Herr-Werden der Mittleren“ (Nietzsches Anti-Darwin), die „radikale Vereinsamung“ und so weiter hatten ihn vollends geschafft. Er könne nicht mehr, könne diesen Text nicht „mundgerecht“ machen. Darüber allerdings wollte er dann gern ausführlich sprechen. Die Leute hatten fünfzig Mark gezahlt. Sie hatten nichts gegen Spaß. Eine Frau kicherte. „Na, Sie sehen schon so aus“, herrschte Syberberg sie an, „gehen Sie, gehen Sie, weg, weg, in Ihren Club, lassen Sie sich peitschen! Ach! Sie wissen doch gar nicht, was eine Peitsche ist! Gehen Sie doch essen, gehen Sie sich vergasen!“ Als er dann krähte: „Jetzt ist's sauber hier“, war er schon fast ganz allein mit seinen Heuhaufen und Plastikkränzen.
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