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Espressivissimo

■ Heute live bei Radio Bremen: Neue (Klavier-)Musik aus Rußland

„Ich bitte jeden, der meine Musik schätzt, sie nicht als Objekt der theoretischen Analyse zu benutzen und entsprechend zu bewerten.“ Das Statement der Komponistin Galina Ustwolskaja kann Marianne Schroeder eigentlich nur unterschreiben. „Ich bin auch kein großer Fan von Theorien“, sagt die Pianistin; „im Grunde zerstören Definitionen das Geheimnis, das eine Sache ausmacht.“ Und gerade die Musik ihrer russischen Lieblingskomponistin müsse man als Zuhörer am eigenen Leibe erfahren. Zum Beispiel heute abend: Da spielt Marianne Schroeder, die zuletzt beim „Women In Emotion“-Festival 1993 in Bremen zu hören war, alle sechs Sonaten von Ustwolskaja, um 20 Uhr im Sendesaal von Radio Bremen.

Oft gibt es diese Gelegenheit nicht eben: Die Musik von Galina Ustwoskaja wird erst allmählich entdeckt. Auch im eigenen Lande. Die Kompositionen der Schostakowitsch-Schülerin waren nicht für staatliche Repräsentierzwecke geeignet; erst mit der Perestroika fand ihre eigenwillige Musik mehr Interesse und Verbreitung – 1989 stieß Marianne Schroeder auf die Sonaten, die sie seither nicht mehr losgelassen haben.

„Es ist eine sehr innige Musik, auch mal brutal“, sagt sie über ihre Faszination von den Kompositionen von Ustwoskaja. „Das Brutale ist immer auch Ausdruck innerer Verzweiflung – oft heißt es: espressivo, espressivissimo!“ Aber das sei etwas, was ihr als Interpretin ganz gut entgegenkommt: „Ich bin vielleicht auch nicht immer sehr diplomatisch.“

Diese Expressivität äußert sich denn auch in den Besetzungen, die die Komponisitin zusammenwürfelt. Da finden sich neben dem Klavier auch mal die Tuba und die Piccoloflöte nebeneinander, die im Trio spielen sollen. Und zwar „alles fortissimo“, erzählt Schroeder, für die dieses Erlebnis „ein enormer Energieschub“ war. An den Klaviersonaten schätzt sie vor allem die feinen rhythmischen Verschiebungen und Verschrägungen, mit denen Ustwolskaja arbeitet. Jazzeinflüsse fänden sich darin ebenso wie Reflektionen auf klassische Grundmuster – zum Beispiel Bachs Choräle, die für Schroeder in den Sonaten anklingen: „Ich höre viel Vokalmusik im Hinterkopf, wenn ich Ustwolskaja spiele.“ tom

Heute abend, 20 Uhr, im Sendesaal von Radio Bremen, Bgm.-Spitta-Allee 45

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