: Lauter selbstverschuldete Zustände
■ Schwangere Studentinnen werden finanziell allein gelassen / Auch in Härtefällen bekommen sie nur selten Geld von den Sozialämtern / Die Beratungsstelle Ehe und Familie e.V. versucht zu helfen
Studentin und schwanger? „Halb so schlimm“, würde frau sagen. Und zu ihrer finanziellen Absicherung Sozialhilfe beantragen. Normalerweise.
Claudia B. ist Studentin und im achten Monat schwanger. Ihre zuständige Bearbeiterin auf dem Sozialamt des Bezirks Prenzlauer Berg findet es jedoch alles andere als normal, daß die Studentin zu ihr kommt: „Was wollen Sie denn bei mir? Sie haben doch ihren Zustand selbst verursacht.“
Claudia B. erhält also keine Sozialhilfe. Wie sie finanziell die nächsten Monate über die Runden kommen soll, weiß sie nicht. Das Sozialamt argumentiert damit, daß sie doch nominell Bafög-Empfängerin sei. Aber auch hier Fehlanzeige: Claudia erhält kein Bafög, ihre Eltern verdienen zuviel. Diese sehen aber überhaupt nicht ein, warum sie ihre Tochter unterstützen sollen. Also: ein klassischer Fall fürs Sozialamt. Normalerweise.
Claudia B. ist kein Einzelfall. „Immer wieder passiert es schwangeren Studentinnen, daß ihr Antrag vom Sozialamt abgelehnt wird“, weiß Carola Kluschke vom Humanistischen Verband zu berichten. Als Grund führen die knausrigen Beamten den Paragraphen 26 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ins Feld, der für Bafög-EmpfängerInnen, Arbeitslose und „andersweitig zu Versorgende“ Zahlungen untersagt. „Bei Schwangeren sieht die Gesetzeslage aber etwas anders aus“, ist sich der Rechtsanwalt Dieter Hummel, der Claudia B. in ihrem Streit mit dem Sozialamt vertritt, sicher. „Der im letzten Jahr abgeänderte Paragraph 91 des BSHG besagt, daß bei Schwangeren Sozialhilfe gezahlt wird, denn bei ihnen müssen nicht Angehörige ersten Grades zur Versorgung herangezogen werden.“
Das sehen die Beamten jedoch ganz anders. Vor allem die Sozialämter Prenzlauer Berg und Wedding versuchen immer wieder, sich an die Angehörigen der Antragstellerinnen zu halten. Die Behörden verschicken nette Briefe an die Eltern und fordern sie auf, für den Unterhalt ihrer Kinder zu sorgen. Erst wenn die Eltern die Zahlung ablehnen oder im besten Falle gar nicht erst auf die Schreiben reagieren, lassen die Beamten mit sich reden. „Wir gehen aber immer vom Einzelfall aus“, erklärt die Kreuzberger Sozialstadträtin Ingeborg Junge-Reyer. „Generelle Zahlungen für Studentinnen gibt es nicht. Ein Anspruch besteht nur dann, wenn grundsätzlich Sozialhilfe zu zahlen ist.“
Hier beißt sich die Katze in den Schwanz, denn für die betroffenen Frauen zählt nicht in erster Linie ihre „selbstverschuldete Schwangerschaft“, sondern ihr studentischer Status. Während nichtberufstätige Frauen im Erziehungsurlaub Anspruch auf Sozialhilfe haben, bleiben Studentinnen außen vor.
Was mit Einzelfallprüfung gemeint ist, hat Steffi K. deutlich zu spüren bekommen. Auch sie erhält kein Bafög, und um finanziell über die Runden zu kommen, verdiente sie sich in einem Nebenjob monatlich 700 Mark. Inzwischen ist sie hochschwanger und kann nicht mehr arbeiten gehen. Sie tat das in ihren Augen Selbstverständliche: einen Antrag auf Sozialhilfe zu stellen. Dieser wurde prompt abgelehnt. Die Begründung: „In Ihrer persönlichen Situation konnten wir keine Härte erkennen.“ Also auch für Steffi K. kein Geld vom Sozialamt.
Die Beratungsstelle Ehe und Familie e.V. versucht für ihre studentischen Klientinnen wenigstens einen entsprechenden Mehrbedarf einzuklagen. Mehrbedarf bedeutet die Zahlung von 103 Mark monatlich und extra Geld für Babyerstausstattung und Schwangerenbekleidung. Aber auch hier werden nur wenige Anträge positiv entschieden. Auf einen Trick bei der unsäglichen Antragstellerei macht Carola Klunschke vom Humanistischen Verband aufmerksam: „Wenn eine Studentin ein Urlaubssemester beantragt hat, geht das Sozialamt davon aus, daß sie praktisch nicht studiert. Und damit haben die Frauen dann gute Chancen, ihr Geld zu bekommen.“
Ganz so einfach ist aber selbst der Dreh mit dem Urlaubssemester nicht. Denn dieses muß schon drei Monate vorher beantragt werden, und schwangere Studentinnen können dann ein halbes Jahr lang nicht mehr regulär die Uni besuchen.
Als „Frechheit“ empfindet Rechtsanwalt Dieter Hummel die gängige Praxis der Sozialämter gegenüber den Schwangeren. „Man kann doch die Frauen nicht verhungern lassen!“ Claudia B. zieht aus der Arroganz der Sozialämter den konsequenten Schluß: „Letztendlich sieht es so aus, daß Frauen während des Studiums nicht mehr schwanger werden dürfen.“ Anja Nitzsche
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