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Glück, Bumm, Knorr, Räpp

Karikaturen, Devotionalien, antike Fußballsongs aus der Musikbox usw. usf.: Eine Ausstellung zur Fußball-WM / Aberwitzige Abgründe, paradiesische Hochebenen  ■ Aus Kassel Bernd Müllender

„Alle achten nur auf mich, dadurch sind die Mitspieler dauernd frei.“ Beim Auftaktspiel dominierte der doppelzentnerstarke Minister Joschka Fischer sowohl taktisch-verbal als auch faktisch am Ball: In der 85. Minute glich er strammschüssig zum 4:4 für sein Prominententeam gegen Kassels Alternativfußballegende Dynamo Windrad aus. Augenblicklich war der Torjäger Fischer („Fußball hat für mich etwas von einer therapeutischen Schreitherapie“) so erschöpft, daß er gen Familie und Ministerium enteilte und der feierlichen Ausstellungs- Eröffnung fernblieb.

Dabei ist Fischer doch Schirmherr der Ausstellung „Satanische Fersen – Kurioses, Abseitiges und Komisches rund um den Fußball“. Angetreten sind die Kasselaner Veranstalter Dynamo Windrad und das Caricatura-Satirebüro in lockerer Elferreihe, um „die aberwitzigsten Abgründe und die paradiesischen Hochebenen dieser Sportart aufzuzeigen“ und so für „ein ballrundes Bildungserlebnis“ zu sorgen.

Lenin in Öl und lebensgroß

Welche Highlights aufzählen? Wo anfangen? Was auslassen von den Tausenden Exponaten: Den Karikaturen, Bildern, Texten, Gedichten, Installationen und vor allem Originalrelikten aus hundert Jahren Balltritt, die da von Freunden und Institutionen „mit herzensheller Begeisterung“ zusammengetragen wurden. Da ist die Musikbox mit den erbarmungslosesten Hits der Sangesbrüder Radi Radenkovic („Bißchen Glück in Liebe, bißchen Glück in Spiel“), Gerd Müller („Dann macht es Bumm“), Beckenbauer („Knorr... Du allein“) oder Klaus Schlappner („Schlappi- Räpp“).

In der Videothek flimmert Unerhörtes und vielfach bislang Ungesehenes von der Fußball- Rolle. Nebenan steht eine Tipp- Kick-Installation – in Lebensgröße. Da sind weiter die Tipp-Kick- Spiele aus Ost- und Westdeutschland – im Systemvergleich. Ein riesiger Lenin in Öl und Kickerkluft. Die Karikatur gegen die Nullnulldiät: „Tore vergrößern? Nein: Torwart verkleinern!“

Und all die Bildnisse und Kuriosa aus Lederzeiten, in denen die Bälle das Rundsein noch nicht recht gelernt hatten, Tor noch gutdeutsch Goal hieß, kernige Kerle in verfilzten Rollkragenpullovern hechelten und hechteten, als „Otto Nerz das beidfüßige Ballstoppen demonstrierte“ und als zum Eintrittspreis für ein Länderspiel 1952 noch die „Dankspende 0,10 DM für das Sozialwerk DFB“ gehörte.

Kassels Kulturgeschichte des Fußballs ist nicht nur für Herz und Satiresinn. Lernen läßt sich, daß die Werbewirksamkeit des Balltritts schon lange vor dem vermeintlichen Jägermeister-Sündenfall (Original-Trikot in Vollsynthetik in Vitrine) ausgeschlachtet wurde: Mit stadionärer Malzbierreklame, groß ins Bild gerückt in den 20er Jahren, mit erdal-Klebebildchen aus den 30ern, mit den nationalsozialistisch instrumentalisierten elf Kameraden um Reichstrainer Herberger, mit Reklame für einschlägige Produkte („Vasenul Fuss-Puder kampferprobt“), mit Quartettspielen, Sammelalben undundund.

Der Fußball, so rund er ist, scheint keinen Anfang und kein Ende zu haben: Vieles aus dem abseitigen Raumtief der Vergangenheit kommt heute noch komischer daher als jede noch so schräge Karikatur.

Und doch herrscht nie Mangel an Ideen. „Die herrliche Welt jenseits des DFB“ würdigten die Veranstalter mit einem eigenen Devotionalien-Raum für das Abseitigste aus bunten und wilden Fußballligen: Beispielhaft sei neben Dynamos Werdegang in bewegten wie bewegenden Bildern und einer Kabinen-Installation (mit rosa Trikotagen blutgetränkt) der oberkomische, gehäkelte Wimpel vom Team „Einfach Frankfurt“ genannt und der holländische Holzklompen mit Schraubstollen, der einmal eine Siegertrophäe war und beweist, daß kein ernst gemeinter Fußballpokal so häßlich sein kann als daß man ihn nicht noch persiflieren könnte.

Auffallend parallel zu den Satanischen Fersen wurde die WM in den USA terminiert. Manchmal gucken in Kassels Kulturhaus sogar ein paar Unentwegte auf die Glotze im Eck. Aber im Original ist Fußball so ordinär und gewöhnlich und terrorisierend reportiert (Horrorhit bislang: Peter Jensen, ARD). Anders machte es in Kassel ein „Titanic“-Reporterteam, das das Spiel Deutschland-Spanien live zum stummen Fernsehbild kommentierte. Eigentlich wollte das ZDF sogar im Zweitkanal die Zweitkommentierung bundesweit ausstrahlen. Doch die ZDF-Justitiare stoppten ihre Redakteure und schonten ihre unvergleichlichen Warks vor Vergleichen.

„Kein Gedanke an Fußball next 200 Miles“

Bleibt die Karikatur am Ausgang: Sie zeigt einen Highway in texanischer Weite und den Text: „Kein Gedanke an Fussball next 200 Miles.“ Arme Yankees – können's Kicken nicht goutieren. Die Satanic Heels sollten als Entwicklungshilfe für die Dritte Fußballwelt ins Metropolitan Museum of Modern Art. Und Joschka Fischer spielt mit Green Card gegen Ökofoul groß auf.

„Satanische Fersen“, Kulturhaus Dock 4, Untere Karlsstr. 4, Kassel, bis 24. Juli, geöffnet Di-Mi von 10-17 Uhr, Do-So 10-22 Uhr. Eintritt: 50 Sportgroschen. Das gleichnamige Buch, erweitert um viele Texte (davon einige alte taz-Hits), Agon-Sportverlag Kassel, 298 Sportgroschen.

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