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Meeresboden im Kühlregal

■ Im Europahafen lagert die Uni 15.000 Bodenproben aus dem Atlantik / Bremen wird damit zum Mekka für Meeres-GeologInnen aus aller Welt

Andere Leute sammeln Briefmarken oder Schmetterlinge – Gerold Wefer sammelt Bohrkerne. Stolz präsentierte der Bremer Professor für Geowissenschaften gestern das „Internationale Bohrkernlager“ der Uni im Europahafen: Gut gekühlt auf 4 Grad Celsius, der Temperatur der Tiefsee, lagern hier die ersten 15.000 Bodenproben aus dem Meeresgrund des Atlantischen Ozeans. Sie sollen den WissenschaftlerInnen Aufschluß über die Entwicklung der Ozeane auf der Erde geben. Daraus wiederum erhoffen die ForscherInnen sich Erkenntnisse über die Rolle der Meere bei der Klimaentstehung – Grundlage für Klimamodelle, die angesichts der globalen Erwärmung und des CO2-Ausstoßes derzeit heiß debattiert werden.

Die Bohrkerne stammen von dem Forschungsschiff „JOIDES-Resolution“, das unter internationaler Regie durch die Weltmeere schippert und an geologisch interessanten Punkten Probebohrungen vornimmt. Im Durchschnitt, so Gerold Wefer, ist der Ozean dabei vier bis fünf Kilometer tief, gebohrt wird nochmal etwa zwei Kilometer in das Sediment. Dabei füllt sich das Bohrgestänge mit Erde und Gestein – dem Bohrkern. Der wird an Bord des Schiffes, das mit je 40 Seeleuten und WissenschaftlerInnen besetzt ist, sorgfältig aus dem Gestänge geholt und gelagert.

Aus den Proben, die auf handliche 120 Zentimeter Länge bei einem Durchmesser von knapp zehn Zentimeter zurechtgesägt werden, lesen die ForscherInnen wie aus einem Geschichtsbuch des Ozeans: Die Verteilung von Gesteinsarten, Ascheschichten oder Fossilien läßt Rückschlüsse auf die Bewegungen der Erdkruste und auf Klimaentwicklungen wie Vulkanausbrüche oder Lebensmöglichkeiten für Tierarten zu.

„Wir müssen die Entstehung des Klimas verstehen, um unsere jetzigen Klimamodelle überprüfen zu können“, begründet Gerold Wefer die Arbeiten. Denn bei der Klimaforschung spielen die Ozeane eine wichtige Rolle: allein etwa 40 Prozent des CO2 in der Atmosphäre werden von den Weltmeeren aufgenommen. Aus der Entwicklung der Klimamodelle leiten sich schließlich auch „Handlungsanforderungen an die Politik“ ab – zum Beispiel Entscheidungshilfen für eine deutliche Reduzierung des Treibhausgases CO2.

Die Lagerung der Bohrkerne in Bremen bedeutet eine internationale Anerkennung der wissenschaftlichen Arbeit, die am Fachbereich Geowissenschaften der Bremer Uni geleistet wird. Denn beworben um den Standort hatten sich noch andere Unis in den USA und Kanada. In Bremen, das sich damit zu einem „internationalen Zentrum für Marine Geowissenschaften“ mausert, hat man sich auf die Erforschung des Atlantik spezialisiert. Deshalb werden bis 1997 insgesamt 50 Kilometer Bohrkerne in der Kühlhalle mit angeschlossenen Labors im Europahafen landen.

Alle anderen Bohrkerne, die die „JOIDES-Resolution“ nach Hause bringt, lagern in den USA: Denn die sind die Hauptsponsoren des Bohrvorhabens „Ocean Drilling Program“, mit dem bei einem Jahresetat von 36 Millionen Dollar die Meeresböden untersucht werden. Deutschland ist da mit 7 Millionen mit an Bord und darf deshalb regelmäßig zwei ForscherInnen auf hohe See schicken. Nicht umsonst war das Forschungsschiff früher für eine Ölfirma unterwegs: Aufschluß über den Meeresboden heißt auch Aufschluß über die Lage von Bodenschätzen.

Neben der internationalen Anerkennung hat die Lagerung der Kerne in Bremen, die pro Jahr etwa 300.000 Mark kostet, für Profs und StudentInnen der Geowissenschaft auch handfeste Vorteile. Sie müssen für Forschungen am Objekt statt eines Flugs in die USA nur eine Fahrt in den Europahafen finanzieren, sie hoffen auf mehr Doktorandenstellen und auf den Besuch von renommierten WissenschaftlerInnen, die dann mal eben auch einen Vortrag an der Uni halten könnten.

Für die Geowissenschaft insgesamt sind die Bohrkerne extrem wertvoll: „Das sind Unikate, auf die Forscher auch noch in 30 oder 40 Jahren zurückgreifen werden“, meint Gerold Wefer.

Bernhard Pötter

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