■ In Berlin steht die Große Koalition vor dem Scheitern
: Ein Auslaufmodell

Ironie des Schicksals: Zur gleichen Zeit, in der von der SPD in Halle ein Kanzlerkandidat ins Feld geschickt wird, der schon jetzt als Verkörperung des Partners, egal ob junior oder senior, in einer SPD/ CDU-Regierung gilt, kämpft 170 Kilometer nördlich sein Parteifreund Ditmar Staffelt mit den Auswirkungen einer solchen Mesalliance.

Aus einer unappetitlichen, aber doch leicht zu bereinigenden Personalie in der Berliner Landesregierung ist unversehens eine Auseinandersetzung um die Tragfähigkeit einer Großen Koalition geworden. Daß damit der eigentliche Skandal in den Hintergrund rückt, wird der CDU gefallen, erspart es ihr doch ein weiteres Mal die Debatte um ihre gleitenden Übergänge zur deutschen Rechten. Statt dessen sinniert Diepgen über Neuwahlen, wohl wissend, daß für seine Partei dabei nichts Besseres rauskommen kann als – eine Große Koalition. Sie kann damit leben, denn für Christdemokraten ist eine Koalition vorrangig eine Frage der Interessen- und der Personalpolitik. Sie wird nie die Bauchschmerzen verspüren, die eine Programmpartei wie die SPD mit „Elefantenhochzeiten“ hat. Gerade dadurch wird die CDU in einer Großen Koalition immer einen taktischen Vorteil haben. Christdemokraten erfreuen sich bereits am Machterhalt, wo zumindest linke Sozialdemokraten mit Verve über eine möglichst sinnvolle Nutzung debattieren. Deshalb waren die letzten drei Jahre Regierungsbeteiligung in Berlin für die SPD eine Zeit der zusammengebissenen Zähne.

Über die Trägheit und mangelnde Effizienz einer Großen Koalition ist bereits genug sinniert worden. Aber sind Alternativen möglich? Berlin ist zur Zeit ein Beispiel dafür, daß die Haupttendenz nicht unbedingt gen rechts geht. Betrachtet man das Europawahlergebnis, so existiert eine gesellschaftliche Mehrheit links von der Mitte. Nur ist diese nicht kongruent mit den Koordinaten politischer Akzeptanz. Daß die CDU an der Unverrückbarkeit dieser Koordinaten festhält, ist verständlich. Auch wenn es der Klassifizierung der PDS als Kommunisten (CDU-Fraktionschef Landowsky) an jeglicher historisch-analytischen Fundierung fehlt, bei den SPDlern aus dem Osten verfängt sie. Sie sehen sich, obgleich an der Regierung, im eigenen Milieu in einer Minderheitenposition, die um so hoffnungsloser erscheint, als sie auf eine erstarkende PDS nur mit Abgrenzung statt mit Auseinandersetzung reagieren. Vor der gleichen Aufgabe steht auch das Bündnis 90/Die Grünen. Dies wäre die eigentliche, inhaltlich auch spannende Aufgabe der SPD – nicht nur in Berlin. Beim reizlosen Modell Große Koalition fragt man sich hingegen lediglich, wann es denn endlich ausläuft. Doch allein wegen des strategischen Dilemmas kämen baldige Neuwahlen für eine Mitte-Links-Regierung in Berlin zur Unzeit. Dieter Rulff