: Drunter und drüber Königsblau
■ Albrecht Beckers fotografische Lebensdokumentation im MHC
„Ich weiß gar nicht, ob die Leute das alles interessiert?“ fragt Albrecht Becker ehrlich bescheiden, und mit „das“ meint der 87jährige sein Werk als Hobby-Fotograf. Seit er als 13jähriger sein erstes Foto knipste, hat Albrecht Becker sich und seine Umgebung fotografiert. Die leidenschaftlich gesammelten Fotos sind zu Zeitdokumenten aus dem Leben des Bühnenbildners geworden. Die zuvor im Schwulen Museum Berlin ausgestellten Bilder sind nun im Magnus-Hirschfeld-Zentrum zu sehen.
Beckers bevorzugte Motive sind (Selbst-) Portraits und Akte seiner Liebhaber. Oft warf er voyeuristische Blicke auf Lebensmomente anderer, aber „am liebsten fotografiere ich mich selbst und nackt, am meisten hat mich stets mein eigener Körper fasziniert“, sagt er. Die Offenheit, mit der der schmale, elegante Mann aus einer Generation der Schweiger seinen Narzißmus und seine erotischen Leidenschaften preisgibt, wirkt verblüffend. Natürlich ist Becker auch im hohen Alter sehr sorgfältig und diskret vornehm gekleidet: „Ich bin wohl so eine Art Vorzeige-Schwuler“, sagt er ohne Koketterie. Seit er sich mit 17 Jahren seine erste weiße Leinenhose kaufte, legt er Wert aufs Äußere: Ein königsblauer Pullover, darunter ein edel-schlichtes Polohemd, den Hals schmückt eine kunstvoll geschlungenes Tuch, so sieht sein ganz normaler Hausdreß aus. Nie hat der 1906 in der preußischen Kleinstadt Thale am Harz geborene Becker sein Schwulsein verleugnet. Er ist einer der wenigen Zeugen schwulen Lebens in der Vorkriegszeit und stand auch unter den Nationalsozialisten zu seinem Liebesleben.
Sein ganzes fotografiertes Leben: Erotisch und kunstvoll, Gruppenfotos von Sonntagsausflügen, Soldaten beim Baden, hübsche Körper, oft in lasziven Posen aus dem Blickwinkel des Liebhabers abgelichtet. Unbedeckt oder nur mit Shorts bekleidet, im elegantesten Aufzug oder sehr dandyhaft: Becker. Jugendlich verträumt, schon mit Sorgen im Gesicht 1938 als 32jähriger, oder später, über und über am Körper tätowiert. „Wieso sollte ich lügen“, fragt Becker, wenn er von seiner Verurteilung als Homosexueller durch die Nazis erzählt. Er könne keine Haßgefühle empfinden. „Damals wurden Helden gefordert. Und ich wußte, ich war keiner.“ So ging er mit einer unschuldigen Arglosigkeit, wie er jedem Menschen begegnet, auch auf die Nazis zu: „Ich kann nicht leugnen, daß mir der eine Nazi sogar gefiel. Es war ein schicker Mann und er zog mich ganz einfach an.“ Nach dem Röhm-Putsch 1934 wurde der damals 28jährige verhaftet, zu drei Jahren Gefängnis verurteilt und später zum Kriegsdienst eingezogen. „Ich hatte einfach schreckliche Schuldgefühle,“ sagt Becker. Die demütige und sanfte Art des Mannes ist auch knapp 60 Jahre später noch immer zu spüren. Er litt still: „Nach dem Gefängnis konnte ich erst keine Beziehung mehr eingehen.“ Er entdeckte Gefallen an sadomasochistischen Praktiken. „Durch meine Eigenschaft war ich zum Beispiel nie eifersüchtig auf andere Männer“. Seine Aggressionen begann Becker während des Krieges nach außen zu zeigen: „Damals begann ich mit den Tätowierungen. Mein Körper wurde mehr und mehr zum Objekt für mich.“ In Hamburg begann Albrecht Becker mit seinem Freund Herbert Kirchhoff 1947 als Bühnenbildner bei der Real-Film, dekorierte den Hauptmann von Köpenick oder Ein Glas Wasser. In dem Haus in Meiendorf lebt Becker nach Kirchhoffs Tod allein. Sein Vorbild: Oskar Kokoschka, der 94 Jahre alt geworden ist. Genug Energie hat er, zu „schön ist das Leben“, sagt der Fotograf, „und ich habe immer noch Spaß an der Männermode“. Königsblau ist immer noch seine favorisierte Farbe. Grad kürzlich hat er einen Fotowettbewerb mit seinen Aufnahmen gewonnen. Das Motiv: Albrecht Becker vorm Spiegel und ganz in königsblau.
Katrin Wienefeld
„Albrecht Becker – Selbstporträts“ im Magnus Hirschfeld Centrum, Borgweg 8, bis 30. Juli, täglich 15 bis 24 Uhr; Fotoband „Fotos sind mein Leben“, Hrsg. v. Andreas Sternweiler, Verlag Rosa Winkel, 32 Mark
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