Einen dicken Mann zu berühren

■ Peter Kern, der ewige Zweite, allüberall: im BKA, auf der Leinwand in der Brotfabrik...

Vor 15 Jahren habe ich ihn das erste Mal spielen sehen. Im „Feuerroten Spielmobil“, der Samstagnachmittags-Kindersendung. Damals gruselte ich mich vor soviel Fett. Meine Freunde und ich steckten aus Jux zehn Kissen unter unsere T-Shirts und kniffen unsere Augen zu Schlitzen zusammen.

Peter Kerns 170 Kilo habe ich am Sonntag im BKA zum erstenmal live gesehen: soviel Fleisch auf so kurzen Beinen! Und das ist es leider auch, was nach der Soloseelen-Peep-Show hängenbleibt: Peter Kern ist und war schon immer Deutschlands Meat Loaf. Ein schwuler, zutiefst exhibitionistischer Außenseiter-Komödiant von inzwischen 45 Jahren.

In „Dona Margarida“ trägt der unsterbliche Kern („Ich will ewig leben!“) ein braves blaues Kostüm und mimt eine gestrenge Lehrerin, ein fleischgewordenes Prinzip auf müden Füßen. Zwei Unterrichtsstunden lang traktiert Kern, schweratmend und cholerisch, seine Klasse – die Zugucker – mit Verbalinjurien und billigen Lebensweisheiten.

Er strengt sich enorm an, gegen die fußballweltmeisterschaftsbedingt ausgedünnten Zuschauerreihen anzuspielen. Schlüpfrige Bemerkungen verpuffen witzlos, moralinsaure Instruktionen verhallen folgenlos. Und als Dona Margarida, der brasilianische Plumpudding, erschöpft auf Treppenstufen niedersinkt und schluchzt, ist Mitleid Mangelware.

Kerns dramaturgische Ungeschicklichkeiten sind peinlich. Und sie sollen es auch sein: Der Schauspieler und Regisseur, der sein Leben lang immer nur die zweite Geige spielte, inszeniert immer und überall einen „Jetzt erst recht!“-Lausebengel. Trotz verheißungsvoller Engagements bei Wim Wenders, Peter Lilienthal, Rainer Werner Fassbinder und Werner Schroeter.

Und auch jenseits von Bühne und Kamera. „Ich bin Repräsentant dieses Scheißlandes überall auf der Erde“, kann er sich aufregen, „und werde hier immer noch wie ein Arschloch behandelt.“ Kern trägt dieses Eingeschnapptsein nach außen, läßt den Berufsproleten raushängen. Nichts ist ihm zu blöd.

Seine Brüste etwa: die eine heißt Paula, die andere „ist eine rechtsradikale Titte“. In „Ein fetter Film“, der Anfang Juli in der Brotfabrik seine Erstaufführung erlebt, füllen Kerns schwabbelige Brüste phasenweise die ganze Leinwand. Und zucken und reden und motzen und schimpfen. Der Streifen, „garantiert ohne öffentliche Förderung hergestellt“, beschreibt in mitleiderregenden Farben den Alptraum Abspecken. Peter Kern zeigt Peter Kern, ein Walzwerk, das in seiner kleinen Düsseldorfer Dachgeschoßwohnung das viele Fett betrauert. Und von ihm loskommen will. Auch „weil ich schon lange meinen Schwanz nicht mehr gesehen habe“.

Kern terrorisiert Freunde mit seiner schlechten Laune, mit seiner Ungerechtigkeit. Wie er, der Hoffnungslose, von Klinik zu Klinik gereicht wird, alle Müh' umsonst erscheint und er letztlich in Agadir/ Marokko irgendwelche Wunderziegen aufstöbert, deren Ausscheidungen Heil bringen sollen – das soll laut Presseheft ein „zwerchfellerschütterndes Himmelfahrtskommando“ sein. Tatsächlich aber bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Denn ob auf der Bühne oder im Film: Von Peter Kern geht immer eine gewisse Traurigkeit aus. Gegen die sucht er mit vulgärer Zickigkeit anzuspielen. Aber er legt damit bloß und tüncht nicht zu.

So wird man das Gefühl nicht los, daß der gebürtige Wiener in allen Rollen nur sich selbst spielt. In Variationen zwar, aber doch immer gleich. Wie ein roter Faden zieht sich ein Charakterzug durch Kerns Werk, der auch in früheren Filmen (ein paar davon zeigt die Brotfabrik außerdem Anfang Juli in einer Art Retrospektive) bestimmendes Merkmal ist: böse sein und zickig, eine Mixtur aus Übellaune und pampigem Rechthabenwollen.

Dabei hat er diese Art gar nicht nötig. Denn Kern („Niemand hat das Recht, mich zu verletzen“) ist gerade dann gut, wenn er lieb ist und keine Mauer der Unzugänglichkeit mit sich rumträgt. Und Kern kann ziemlich lieb sein.

Meine Lieblingsszene im „Fetten Film“: Kern und sein jugendlicher „Gelegenheitsarbeiter“ kriegen sich in Marokko in die Haare, haben sich nichts mehr zu sagen und gehen sich aus dem Weg. Beredte sprachlose Hilflosigkeit: wie der fette Kern den dünnen Dandy für sich zu gewinnen sucht; wie die beiden im Hotelzimmer schweigend auf dem Bett liegen, der Dandy tut so, als schliefe er, Kern hockt neben ihm mit Sauerstoffmaske, weil das gut sein soll fürs Abnehmen; wie Kern seinen Kopf aufstützt und den Tiraden eines marokkanischen Freundes gegen fremdenfeindliche Deutsche lauscht.

Der Zwangsjacke Deutschland entflieht Kern regelmäßig ins Ausland. In Tunesien, Marokko, Ägypten, unter Arabern fühlt er sich wohl, ist er seinem Traum vom Leben nahe. Weil er dort als Dicker kein Exot ist. Auf den Philippinen, wo er 1980 den Dokumentarfilm „Die Wasserlilie blüht nicht mehr“ drehte, verschaffte ihm sein phänomenaler Wanst sogar einen gewissen Kultstatus: „Ich gehe durch die Straßen, Kinderscharen kommen angelaufen, berühren meinen Bauch und gehen mit einem strahlenden Lächeln zurück zu ihren Eltern und werden von der Familie geküßt, weil es Glück bringt, wenn du einem dicken Mann begegnest.“ Thorsten Schmitz

„Dona Margarida“ läuft noch bis 16. Juli im BKA, Mehringdamm 32/34, Kreuzberg, Mi., Fr., Sa., So. 20 Uhr, Sa. auch 24 Uhr.

Peter-Kern-Filmwoche in der Brotfabrik, Prenzlauer Straße 3, vom 3. bis 7.Juli. „Domenica“, BRD 1993, täglich um 19.30 Uhr. Und täglich um 23 Uhr: „Die Insel der blutigen Plantage“, BRD 1982.

11. bis 13.7.: „Ein fetter Film“, BRD 1992, täglich um 19.30 Uhr. Und täglich um 23 Uhr: „Wo geht's denn hier zum Film?“