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Mit Mao Tse-Tung ins Nirwana

Das US-Team ist nach dem unglaublichen 2:1-Sieg gegen die von Pelé favorisierten Kolumbianer aus dem Häuschen und Kolumbien nach zweifacher Pleite & Eigentor bald in selbigem  ■ Aus Pasadena Matti Lieske

Der Schlußpfiff des italienischen Schiedsrichters Baldas war längst verklungen, da tobte der ziegenbärtige Alexi Lalas noch immer mit demselben Elan über den Rasen, mit dem er sich zuvor den kolumbianischen Stürmern entgegengeworfen hatte. Cobi Jones schüttelte begeistert seine Dreadlocks, Tom Dooley jubelte im reinsten Pidgin-Pfälzisch („für mich ist ein amerikanischer Traum in Erfüllung gegangen“), und Lalas ballte die Fäuste, reckte die Arme den sternenbannerschwingenden Zuschauern entgegen und grimassierte, als würde er in einem Heavy-Metal-Videoclip mitspielen.

Abgesehen davon, daß sich nun die CD („Woodland“), die er mit seiner Band aufgenommen hat, noch besser verkaufen wird (seither: 1.000), besaß Lalas allen Grund, derart auszurasten. Mit 2:1 hatte das aus fast allen Erdteilen zusammengesuchte US-Team den vermeintlichen Titelanwärter Kolumbien niedergekämpft, den ersten Weltmeisterschaftssieg der USA seit 44 Jahren errungen und mit ziemlicher Sicherheit verhindert, daß zum ersten Mal in der WM-Geschichte die Gastgebermannschaft in der ersten Runde ausscheidet.

Architekt des sensationellen Sieges war natürlich Bora Milutinovic, der weltgewandte Serbe, der vor Jahren in eine mexikanische Millionärsfamilie eingeheiratet hat und seitdem zum Zeitvertreib hin und wieder minderbemittelten Fußballteams das Gewinnen lehrt. 1986 hievte er Mexiko im eigenen Land ins Viertelfinale, 1990 überstanden die geringgeschätzten Costaricaner die erste Runde und warfen dabei Schweden und Schottland aus dem Turnier, 1994 läßt er seine magischen Fähigkeiten (US-Soccer-Präsident Rothenberg: „Bora ist ein Genie“) jetzt im US-Team wirken. „Ich glaube nicht an Wunder“ sagt „The Miracle Man“ allerdings selbst. Stattdessen glaubt Milutinovic an Mao Tse-Tung.

„Wir weichen zurück, damit wir umso besser angreifen können“, kleidete er seine Taktik für das Kolumbienspiel in ein Mao-Zitat, in der Praxis kam dabei eine Mischung aus Kick and Rush mit Trial and Error heraus. Das Wundersame war: es funktionierte, was vor allem daran lag, daß sich die Kolumbianer bereitwillig für die Errors zuständig fühlten. Sie taten genau das, was die USA gehofft hatten, aber nicht zu glauben wagten. Sie warfen, durch die Niederlage gegen Rumänien verunsichert, ihr gewohntes sicheres Kurzpaßspiel über Bord, versuchten voller Panik, überhastet zum Tor vorzudringen und waren insgesamt hypernervös. Die Abwehr leistete sich eine Fülle von Fehlern, eröffnete den USA etliche Torchancen, und als Escobar den Ball in der 32. Minute auch noch ins eigene Tor trat, war es völlig aus mit der kolumbianischen Contenance.

„Fußball ist Gott und Valderrama ist sein Prophet“, verkündeten die kolumbianischen Fans auf einem Transparent, doch der Prophet wandelte an diesem Tag in einer gigantischen Wüste und produzierte mehr Fehlpässe als in den letzten vier Jahren zusammen. Vor dem Anpfiff war es heiß hergegangen. Trainer Franceso Maturana hatte eine Bombendrohung erhalten und erklärte sybillinisch: „Es ist etwas passiert, das geklärt werden muß.“ Eine Erklärung für das Auftreten seiner Mannschaft hat Maturana nicht: „Selbst wenn man absichtlich schlecht spielt, ist man nicht so schlecht wie dieses Team heute war“, sagte er und bedauerte, daß er nur zwei Spieler auswechseln durfte. „Eigentlich hätte ich alle elf auswechseln müssen.“

Auch in der zweiten Halbzeit hatten die USA die besseren Torchancen, wurden langsam übermütig, vergaßen gelegentlich sogar die Mao-Taktik und spielten richtig Fußball. Folgerichtig fiel nach einer wunderschön flüssigen Kombination über das ganze Feld, die sie vermutlich von früheren Auftritten Kolumbiens abgeschaut hatten, in der 52. Minute das 2:0 durch Ernie Stewart, der nach diesem epochemachenden Ereignis auf der Stelle in Tränen ausbrach. Nachdem ein waghalsiger Fallrückzieher von Balboa haarscharf am Pfosten des kolumbianischen Tores vorbeigezischt war, schaffte Valencia in der letzten Minute immerhin noch das 1:2 für die längst resignierten Kolumbianer, die ihre WM-Hoffnungen nach dem Doppel-Desaster von Pasadena wohl vorerst begraben dürfen.

Dann kam der Schlußpfiff, das US-Team hob ins Fußball-Nirwana ab und der größte Teil der 93.194 Zuschauer in der idyllischen Rose Bowl brach in tosenden Jubel aus. Anders als beim 1:0-Sieg der USA gegen Mexiko vor einigen Wochen, als rund 90.000 Mexikaner das Stadion füllten, hatte sich diesmal eine Überzahl an US-Bürgern herbeigeschlichen. Und dies, obwohl es die Ironie des Terminplans wollte, daß das Schicksalsspiel von „Team USA“ just zur gleichen Zeit stattfand wie das siebte und entscheidende Match im Basketball-Finale zwischen den New York Knicks und den Houston Rockets. „Eine Meisterschaft, größer als Basketball, Football und Baseball zusammen“, versucht ein Werbespot im US-Fernsehen Stimmung für den Soccer World Cup zu machen. Daran glaubt zwar niemand, aber nach dem endgültigen Sieg der Houston Rockets in der NBA-Meisterschaft und dem gloriosen Auftritt des US-Teams gegen Kolumbien könnte das Fußballfieber in den USA zumindest so weit steigen, daß es erstmals Sportkegeln und lokale Golfturniere an Popularität überholt.

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