: Die Hoffnung der Militärs: Öl und Spiele
■ Nigerias grüne Adler sollen heute gegen Maradona & Co noch weiterfliegen
Lagos (taz) – Maduike Street 5, Ikoyi, Lagos, Nigeria, 0.27 Uhr westafrikanischer Zeit. Das WM- Studio im Hinterhof ist eröffnet. Auf dem Mini-Fernsehsender steht eine schwammerlförmige Nachttischlampe, davor ein rauchendes Marmeladenglas zwecks Insektenbekämpfung. Die rechte Flanke hat Besinda eingenommen. Links von der Glotze hockt Ima, was soviel wie Liebe heißt. Dahinter sitzen im Halbrund John und seine Freunde. Seit Tagen fiebern sie dieser Stunde der Wahrheit entgegen. Sie, ganz Nigeria und 550 Millionen Afrikaner.
0.31 Uhr. Die Zuschauer aus Europa – ein Austrianer, ein Bajuware – treffen ein. Sie müssen auf den beiden Schleiflackstühlen in der Mitte der Gartenarena Platz nehmen. Bundesliga? Interessiert nicht. Die Nigerianer stehen auf Samba. Der Nahrungsmittelkonzern Bournavita, Obersponsor der Super Eagles, hat schon 1970 die Übertragung brasilianischer Spiele bezuschußt. Der Werbebulle von Bournavita heißt Rashidi Yekini, Torschützenkönig der portugiesischen Liga, Afrikas Fußballer des Jahres, Juniorenweltmeister 1993, Afrika-Champion 1994. Und nun US-Amerika. Die Erwartungen sind groß. Wenn man schon auf den Märkten der Welt versagt, so will man es der Welt wenigstens auf dem Rasen zeigen.
Das reiche Ölland Nigeria steht vor dem wirtschaftlichen Offenbarungseid: Korruption, Mißmanagement, Nepotismus – es gibt wohl kein Land, das seine Ressourcen derart sinnlos verschleudert. Die herrschende Elite bedient sich wie in einem Supermarkt, die Masse der Bevölkerung wird systematisch betrogen. Was könnte den Mächtigen besser ins regierungskriminelle Geschäft passen, als ein paar rauschende Fußballtage? General Sani Abacha, der Militärherrscher, hat den grünen Adlern noch schnell eine Depesche nach Amerika gekabelt. Marschbefehl: Tragt Nigeria auf dem globalen Fußballatlas ein.
0.34 Uhr Anpfiff, Myriaden von Moskitos fahren ihre Stacheln aus. Hoffentlich geht alles gut. Stromausfall, tropischer Sturzregen, Implosion des Fernsehers, Putsch der Luftwaffe, schnelles Gegentor – der Herr schütze Nigeria. Himmel, ein Durchbruch der Bulgaren! Die Männer ächzen, Ima und Besinda schreien so schrill, daß die erschrockenen Mücken ihre Malaria-Attacken kurz unterbrechen. Aber da ist Stephen Keshi. In allerletzter Sekunde hat er den Meister „Stoiko“ ausgehebelt. „Is iron man, is strong man“, erklärt Itulu, „Nigerian defense: is experience and everything.“
Dann Rashidi Yekini. Einfach wunderbar, wie er die Buben aus Sofia und Umgebung schwindlig spielt. Eins zu null für die grünen Adler! Ima und Besinda haben gerade noch überlegt, wer Yekini heiraten darf, wenn er mit dem Weltcup heimkommt, da schlägt er auch schon zu. Der Ball zappelt im Netz, der Torschütze hängt in den Maschen, das Publikum in der Maduike Street 5, in Afrika und der Welt jubelt.
Itulu würde am liebsten den Fernseher in den Tropenhimmel schleudern. „I play, I kick, I feel good“, schreit er. Der Mittelstürmer im Tornetz, so wird uns übersetzt, soll angeblich nur zwei Wörter wiederholt haben: Rashidi Yekini, Rashidi Yekini usw. Und Bournvita, der Sponsorgott, blendet seine Werbespots ein. Zwo zu null. Amokachi tanzt Juju, unser Hinterhofstadion tanzt mit. 3:0 – Imma kritzelt das Ergebnis fein säuberlich in ihre selbstgemalte Ergebnisliste. Am anderen Morgen waren alle verschlafen und mächtig stolz. Der „Giant of Africa“ hat zugeschlagen. „Ein Sieg für alle schwarzen Menschen auf der Erde“, jubilierte ein TV- Reporter. Der Militärherrscher beeilte sich, den Triumph gleich seinem sportiven Regime zuzuschlagen. Öl und Spiele: Solange es an den Tankstellen Benzin gibt und die Super Eagles gewinnen, können sich die Militärs halbwegs sicher fühlen. Überhaupt: Die Nationalmannschaft ist neben der Korruption eine der wenigen Institutionen, die den an allen Ecken und Enden knirschenden Vielvölkerstaat Nigeria noch zusammenhält. – Heute also Maradona. „Argentina never no beat us“, kündigt Itulu an. Schau'n mer mal. Die Rentner aus Buenos Aires müssen sich jedenfalls warm anziehen. Wir werden wieder unter dem Feigenbaum im Hinterhof sitzen. Die Moskitos, Ima, Besinda und die Welt warten schon auf Yekini, Amokachi und Okocha. Bartl Grill
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen