piwik no script img

■ Rausch und SuchtMehr Aufklärung!

Das Bedürfnis nach Rausch ist normalerweise bei jedem vorhanden. Man möchte von den Alltagssorgen abschalten, ausgelassen sein und die Hemmungen fallenlassen. Mit Alkohol und Drogen ist das einfacher. Rauschmittel gibt es in allen Kulturen. Sogar bei Tieren hat man Alkoholkonsum festgestellt – sie berauschen sich an Früchten, die in der Hitze gären.

Die verschiedenen Rauschmittel können jedoch süchtig machen – wenn auch in unterschiedlicher Stärke. So haben Heroin und Crack eine viel höhere Suchtpotenz als etwa Alkohol. Nicht immer entspricht die Vorstellung, die es in einer Gesellschaft über die Suchtpotenz eines Stoffes gibt, auch den Tatsachen. Haschisch ist bei uns jahrelang als erheblich suchtpotenter eingeschätzt worden, als es in Wirklichkeit ist. Ein Grund dafür liegt im Mißtrauen gegenüber einer in unserem Kulturkreis unbekannten Droge. Da der Haschischkonsum darüber hinaus Ende der sechziger Jahre für die Jugendlichen zu einer Form des Protestes gegen die Gesellschaft wurde, hat die ältere Generation um so heftiger mit Sanktionen reagiert. Spektakuläre Bilder von Herointoten in den Medien haben davon abgelenkt, daß die viel weiter verbreitete Alkoholabhängigkeit bei uns eine erheblich höhere Todesrate erzeugt als etwa Heroin.

Obwohl in großen Teilen der Bevölkerung Alkohol und andere Drogen konsumiert werden, wird nur ein kleiner Prozentsatz süchtig. Persönliche Probleme können Sucht auslösen. Darüber hinaus wirken, gerade bei Jugendlichen, erhebliche gesellschaftliche Faktoren mit, wie Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Probleme, eine unsoziale Gesellschaft, in die sich viele nicht integriert fühlen. Die Sucht beginnt dort, wo ein Zwang auftritt, die Mittel zu nehmen, wenn der Benutzer spürt, wie er die Kontrolle darüber verliert. Das kann auch für Gruppen gelten. Gruppen Gleichgesinnter erleichtern ein Rechtfertigungssystem, das über den Kontrollverlust gegenüber der Droge hinwegtäuscht. Daneben gibt es klimatische Einflüsse. Durch die langen Phasen der Dunkelheit in Nordeuropa werden Depressionen gefördert, und der Rausch soll aus ihnen hinaushelfen.

Man kann Sucht als solche sicher nicht ausrotten, sondern höchstens den Prozentsatz der Süchtigen senken. Repressionsmaßnahmen halten allenfalls Ängstliche vom Versuch ab. So haben die scharfen Anti-Alkohol-Maßnahmen in Schweden nicht zur Minderung des Alkoholismus geführt. Um Sucht zu vermeiden, sind permanente Aufklärung über Süchtigkeit und ihre Behandlung sowie präventive Maßnahmen notwendig, die verhindern, daß gewisse Gruppen marginalisiert werden. Uwe Immel

Der Autor ist Arzt und Suchtexperte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen