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StadtmitteDas lange Sterben einer Zeitung

■ Am Grabe des „Spandauer Volksblattes“: Der Zeitpunkt des Exitus ist unklar

Es ist fast wie auf einer richtigen Beerdigung: Die Schar der Hinterbliebenen ist zwar klein, Krokodilstränen werden dennoch reichlich vergossen. Und ungewöhnlich schwierig fällt auch die Ermittlung der Todesursache. Am Donnerstag haben die Verleger des Spandauer Volksblattes das Aus für eine traditionsreiche Berliner Zeitung verkündet, die in den letzten zwei Jahren nur noch wöchentlich und lokal begrenzt vertrieben worden ist. Ist da ein jahrzehntelang hoch angesehenes journalistisches Projekt nach langem Siechtum ins Grab befördert worden, sind frühere Täter und Opfer noch zu identifizieren? Fest steht: Schuld hat diesmal – ausnahmsweise – nicht die SPD.

Zwar galt das Spandauer Volksblatt stets als sozialdemokratische Tageszeitung. Dabei hatte die Partei nie ihre Finger im Spiel. Gewiß, der erste Lizenzträger und Chefredakteur nach dem Krieg war ein engagierter SPD- Mann. Und die Redaktion hat sich der SPD sicher stets näher gefühlt als anderen Parteien und dies auch erkennen lassen: vor allem bei den Auseinandersetzungen um die Brandtsche Ostpolitik nach dem Mauerbau, als das Spandauer Volksblatt auf dem von Springer dominierten Zeitungsmarkt das Konzept des „Wandels durch Annäherung“ unterstützte und frühzeitig der DDR ihre Anführungszeichen amputierte. Vor allem in jenen Jahren stand das hohe Ansehen des Volksblatts im Gegensatz zu der eher bescheidenen Auflage.

Aber aktive Hilfe ist den Blattmachern in der „Havelstadt“ nie zuteil geworden, abgesehen von einem günstigen Senatskredit, der später vorzeitig zurückgezahlt werden mußte. Statt dessen blieben die „Genossen“ eher distanziert. Was im Schatten der Zitadelle hervorgebracht wurde, war ihnen längst nicht parteifromm genug. Und dem eher bürgerlich-konservativen Spandauer Publikum war „seine“ Zeitung stets um einige politische Grade zu links, zu frech, zu sehr „nach Berlin“ orientiert. So stieß der liberale Chefredakteur beim Feierabendbier im Kolk als vermeintlicher „Roter“ oft genug auf Skepsis. Jüngere KollegInnen ihrerseits mußten sich an den Tresen in der Innenstadt manch hämisches Gerede gefallen lassen, weil dort der versammelten Leserschar „ihr“ Volksblatt nicht „revolutionär“ genug war. Bei der Durchsicht alter Zeitungsbände wird die permanente Suche der Zeitungsmacher nach dem jeweils aktuellen Profil des eigenen Blattes auch optisch anschaulich: Mal erscheint der Bezirksname „Spandau“ übergroß im Zeitungskopf, mal „Berlin“ und dann wieder „Volksblatt“ – und das im immer schnelleren Wechsel. Der Redaktion freilich hat es bei alledem an hinreichender Homogenität nie gemangelt. Was sie ständig begleitete, waren vielmehr das Mißtrauen und die Bremsmanöver eines Verlages, der die Expansionsgelüste seiner Mitarbeiter allenfalls halbherzig unterstützte. Auch das deutsche Erbrecht wurde so zum mitbestimmenden Faktor im letztlich gescheiterten Überlebenskampf: Eine Verlegerfamilie, die ihr Unternehmen teils liebevoll-mütterlich, teils nach märkischer Gutsherrenart und stets ohne ausgeprägte eigene publizistische Ansprüche führte, übergab das Blatt in höchster materieller Not dem Springer-Konzern. Und der hat es nun beerdigt.

Auf der Insel West-Berlin hätte das alles noch einige Jahre länger weitergehen können. Doch nach dem Mauerfall hatte das Spandauer Volksblatt noch größere Mühen, seinen Platz auf dem Medienmarkt zu finden, war das Objekt für den Großverlag längst nicht mehr von strategischer Bedeutung. Fest steht also immerhin: Schuld hat, wieder einmal, (auch) die SED. Manfred Volkmar

Ehemaliger stellvertretender Chefredakteur des „Volksblatts“, leitet heute die Berliner Journalistenschule

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