: Die romantischen Champions
■ Wer die Brasilianer bremsen möchte, müßte sie sperren
Palo Alto (taz) – Ein Bild perfekter Einheit boten die brasilianischen Spieler, als sie – Hand in Hand wie eine Vorschulklasse – den Rasen betraten. Eifrig propagieren besonders die beiden stürmenden Leichtgewichte Bebeto und Romario, deren Verhältnis eine Trübung in Permanenz nachgesagt wird, ihre unverbrüchliche Solidarität. „Wenn wir zusammen gespielt haben“, sagt Bebeto, „haben wir noch nie verloren, außer bei den Olympischen Spielen, wo wir Silber gewannen.“ Ihre gemeinsame Geschichte reicht vom brasilianischen Juniorenteam über die Olympiamannschaft von 1988 bis ins Nationalteam und die spanische Liga, wo Romarios FC Barcelona Bebetos Deportivo La Coruna die Meisterschaft wegschnappte.
Auch bei der WM begann Romario sofort, dem empfindsamen Bebeto, Spitzname: „Heulsuse“, die Schau zu stehlen. Während Bebeto eine dicke Torchance nach der anderen versiebte, traf Romario gegen Rußland und schoß auch gegen Kamerun in der 39. Minute das erlösende 1:0. Bis dahin war von der anfangs demonstrierten brasilianischen Harmonie auf dem Platz wenig zu sehen gewesen. Die streng defensiv eingestellten, schnellen und zweikampfstarken Kameruner störten das gegnerische Spiel schon im Mittelfeld, wo ihnen der Ball von den schnellen und zweikampfstarken Brasilianern postwendend wieder abgejagt wurde. Die Traumpartie der Vorrunde degenerierte zu einem armseligen Gewurschtel.
Doch dann hatte Romario nach einem Dunga-Paß plötzlich einen halben Meter Vorsprung, das reicht ihm in der Regel zum Torschuß. Wo fast jeder andere es mit Gewalt, einem Heber oder Dribbling versucht hätte, wartete Romario, bis sich Torwart Bell ihm entgegenwarf und stupste den Ball einfach unter ihm hindurch. Die Angriffe der Brasilianer wurden jetzt zielstrebiger. Wozu die „Champions des romantischen Fußballs“ (T-Shirt-Aufdruck) fähig sind, das zeigte sich, als sie genügend Raum für ihr verwirrendes Kombinationsspiel vorfanden. Den Raum hatte ihnen in erster Linie der 17jährige Song-Bahanag mit seinem Foul an Bebeto in der 61. Minute verschafft, das ihm eine vertretbare rote Karte einbrachte. Kaum hatte danach unter dem Jubel des 166.802füßigen Publikums Roger Milla zum ungünstigsten Zeitpunkt das Spielfeld betreten, köpfte Marcio Santos eine Jorginho-Flanke zum 2:0 ins Netz, und dem Wirbel der Brasilianer war Tür und Tor geöffnet. Nun traf sogar Bebeto, der einen Abpraller nach Romario-Solo aus spitzestem Winkel ins Tor schoß, während er vorher weit bessere Chancen versiebt hatte. – Auf der anderen Seite war der mit rauhem Respekt bewachte Milla trotz großer Nervosität kreativer als jeder seiner Mitspieler, mußte aber feststellen, daß „Brasilien kein Stück Kuchen“ (Verteidiger Tataw) ist. Eher ein ausgesprochen harter Brotkanten für jeden potentiellen Gegner. Läßt man ihnen Platz, beginnen sie zu zaubern, läßt man ihnen keinen Platz, kommt man selber auf keinen grünen Zweig. Mindestens ein Tor schießen Brasilianer trotzdem, weil sie ja Romario haben. Die beste Möglichkeit, die romantischen Südamerikaner am Titelgewinn zu hindern, dürfte somit sein, bei der FIFA zu intervenieren und sie wegen Händchenhaltens (ungentlemanly conduct) zu sperren. Matti Lieske
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