: Von "großen Dingen"
■ Fröstelnde Nigerianer suchen argentinischen Körperkontakt
Berlin (taz) – „Über Fußball denken wir nicht nach, wir spielen ihn einfach.“ Sagte Amunike, Nigerias Pässeverteiler im Mittelfeld, bevor er am Samstag das Vergnügen hatte, mit den Spielern und Denkern aus Argentinien gemeinschaftlich zu spielen, ohne nachzudenken. Gelegentlich, man unterschätzt es leicht, wird das simple Ball-Spielchen indes in seinem gedankenlosen Fortgang behindert: „Im Fußball kompliziert sich das Spiel durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft.“ Sagte weiland Jean-Paul Sartre. Wir konzedieren nach kurzem Nachdenken: Der Philosoph versteht was von der Existenz des Fuß-Balls. Anwesend in Boston: nebst Nigeria Argentinien, elfmaliger WM- Teilnehmer.
Nicht einmal zwei Minuten waren gespielt, da hatte Schiedsrichter Bo Karlsson schon dreimal gepfiffen: Die vielgepriesenen Nigerianer („eine Mischung aus Samba und Holland“), deren hitzköpfiger Trainer Clemens Westerhof das Hotelpersonal in Massachusetts wegen vorsätzlicher Erfrierung seiner Spieler mittels Klimaanlage angeklagt hatte („das ist zu kalt hier für meine Spieler, wir ziehen um“), suchten Körperkontakt. Von wegen Defizite im Zweikampfverhalten, wie sie Bundesliga-Vorzeige-Schwarzafrikaner Anthony Yeboah (Ghana) noch vor einem Jahr auf dem schwarzen Kontinent ausgemacht haben will: „Wir sind viel zu verspielt.“ I wo: 15 Fouls produzierten die selbsternannten „Adler“, bescheidene drei die Argentinier.
Ihr gesteigertes Nahkampfverhalten in allen Ehren, nur, in diesem Fall verhinderte es die Tore nicht, sondern förderte sie geradezu. 22. Minute: Claudio Caniggia zum ersten, 29. Minute: Caniggia (Vorlage Maradona) zum zweiten. Zwei Tore, zwei flugs ausgeführte Freistöße. „Meine Spieler diskutierten, als die Tore fielen, noch mit dem Schiedsrichter“, gratulierte Trainer Westerhof, mit der herablassenden Größe eines WM- Debütanten, dem zweifachen Weltmeister zur „größeren Erfahrung“. Bei soviel Großmut, was Wunder, daß Caniggia, der das 1.500. Tor der WM-Geschichte fabrizierte, ahnungsvoll orakeln mußte: „Ich habe das Gefühl, daß jetzt große Dinge auf uns warten.“
Großartig haben sie gespielt, die Jungs um den von den „Toten auferstandenen“ (brasilianische Presse) Maradona. Wollte der pibe de ore (Goldjunge) bereits nach seinem Tor gegen Griechenland die „ganze Welt umarmen“, so entlud sich der Überschwang des Göttergleichen im Mittelfeld-Paß- Amt nach dem samstäglichen Spiel über die volle (!) Spielzeit lediglich in einer Hymne an Zeus: „Ich danke Gott, daß er mir starke Beine gegeben hat, ich mußte ein ganz schönes Stück rennen.“ Was nichts ausmacht, sofern „Diequito“ in dem 27jährigen „Sohn des Windes“ (Tuttosport) einen kongenialen Assistenten – Claudio Paul Caniggia, der nach 13 Monaten Profifußball-Entzug nur am Strand von Miami mit dem Ball jonglierte – neben sich hat: „Diego erfindet, Caniggia führt aus“ (Corriere dello Sport). Und Nigeria denkt nach lautstarkem Auftakt (Westerhof: „Wir wollen hier nicht den Fair-play-Pokal, sondern den Titel“) um: „Wir wollen den zweiten Gruppenplatz.“ coh
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