: Leben auf dem Dioxin
■ Uetersener „Bille-Siedlung“ wird nicht saniert / Gift-Flächen werden abgedeckt
Unter ihren Füßen ist das Gift. Der Boden unter dem Neubauviertel im Esinger Steinweg in Uetersen (Kreis Pinneberg) ist verseucht mit dem Seveso-Gift Dioxin. Und das, so wissen die BewohnerInnen seit Montag, wird dort auf ewig bleiben. Denn da entschied die Ratsversammlung: Für eine Sanierung der 34 betroffenen Grundstücke fehlt das nötige Kleingeld.
Der Giftboden soll nun mit einer 60 Zentimeter dicken Mutterbodenschicht abgedeckt werden. Welche Folgen dies für die BewohnerInnen hat, bleibt ungewiß. Kein seriöser Experte mochte bisher ausschließen, daß das Ultragift auch in die neue Erdschicht eindringt. Und die gesundheitlichen Folgen einer Dixiongiftung werden oft erst nach 20 Jahren sichtbar.
„Ein Kompromiß“, so die VertreterInnen von SPD und CDU auf der Ratsversammlung, der die vierjährige Debatte um einen knapp 20 Millionen Mark teuren Abtransport des Giftbodens zumindest vorläufig beenden soll. Nach geltendem Recht gibt es niemand, der für die Bodenverseuchung haftbar gemacht werden könnte.
Denn einen Prozeß gegen die Papierfabrik, die als Verursacherin der Bodenvergiftung gilt, verloren die AnwohnerInnen vor kurzem in letzter Instanz. Das Itzehoer Landgericht attestierte dem Unternehmen, sich an die damalige Rechtslage und an die Genehmigungen gehalten zu haben.
Entdeckt wurde die Dioxinverseuchung im Herbst 1989, nachdem ein Uetensener Arzt bei Kindern aus der auf Gift erbauten Siedlung eine auffallende Häufung von Allergien und Immunschwächen festgestellt hatte.
Ein Jahr später beschloß die Ratsversammlung die vollständige Sanierung des Giftbodens: Der zwei Meter tiefe Aushub aber fand nie statt. Ein Transport des Giftbodens auf die Deponie Ecklack ließ der Kreis Steinburg nicht zu. Ein „Waschen“ der Erde sollte mindestens 16 Millionen Mark kosten – für die hochverschuldete Kleinstadt zu teuer.
Das Abdecken dagegen kostet nur etwa zwei Millionen Mark. Die will die Stadt bei Land, Kreis und bei Verursacher – der Papierfabrik Stora Papyrus Uetersen als Rechtsnachfolgerin des Unternehmens Feldmühle – zumindest zum Teil einsammeln, kündigte Bürgermeister Karl-Gustav Tewes auf der Ratsversammlung an.
Die Betroffenen protestieren gegen diese Pläne - so lauthals wie erfolglos. Die „Minisanierung“, so eine Uetensenerin, lasse ein unbeschwertes Aufwachsen der dort wohnenden Kinder nicht mehr zu. Für sie und die anderen BewohnerInnen des Giftareals gibt es jetzt nur zwei Alternativen: Die Gesundheitsrisiken in Kauf nehmen oder ihren Heimen den Rücken kehren.
Sven Bardua/Marco Carini
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