piwik no script img

■ Platz für GästeRingelnatz, aktuell

Wie könnte sich der spottende Hans Bötticher, der sich Ringelnatz nannte, auch heute wieder bestätigt fühlen! Fußballwahn war für den sächsischen Verseschmied eine böse Krankheit. Millionen sind infiziert, jetzt wieder. Die Ringelnatzsche Übertreibung bleibt dabei eine harmlose Reimerei gegen die wichtigmacherischen Peinlichkeiten, die alle Medien unters Volk streuen.

In diesem Wirrwarrwust ging fast unter, was vor genau 20 Jahren im WM-Geschehen Gemüter bewegte. Die DDR-Elf hatte in Hamburg den WM-Favoriten Bundesrepublik mit 1:0 bezwungen. Das Sparwasser-Tor gilt seither als fußballhistorischer Fakt. Sicherlich, Dummlacks ließen damals mit politischer Phantasie Wunschträume basteln: Ein siegreiches Fußballspiel sollte von der Überlegenheit des Systems künden. Wen juckte das damals wirklich? Normal: Die Schadenfreude Davids hier, Häme für den Goliath dort. Aber mehr?

Von 293 DDR-Länderspielen war es das 135. Und von den insgesamt 138 Siegen zwischen 1952 und 1990 wirkte das 1:0 sicher als besonderer. Und sonst? Helmut Schöns Team entwickelte später die nicht unglaubwürdige Theorie, diese Panne hätte die Stars für den WM-Sieg wachgerüttelt. Na bitte! Georg Buschners Mannschaft konnte sich zu Recht darauf berufen, keine Eintagsfliege, sondern mit und nach Hamburg einen kleinen Erfolgsschwarm aufsteigen zu lassen. Ebenfalls, na bitte. Überhaupt, die Jahre von 1972 (Bronze in München) bis 1976 (Gold in Montreal) wurden zu den erfolgreichsten der knapp 40jährigen DDR-Fußballgeschichte. Eingeschlossen der 74er-EC-Sieg des 1. FC Magdeburg.

Foto: tip/B. Hoffmann

So sollte man es auch bilanzieren. Sparwasser betonte x- mal „Ein Tor, was ist das schon, denn das Spezielle daran vergeht ...“, und der immer zu kurz gekommene Vorlagengeber Hamann sagte erst kürzlich: „Es ist längst der Schnee von gestern.“

Um so komischer wirken deshalb, 7.000 Tage danach, polemische Nachhutgefechte im Stile Kalter Krieger. Wer da sinniert, anno '94, dies hätte „den Klassenfeind ins Herz getroffen“ (SZ), kämpft höchstens noch um die Ringelnatz-Medaille in Silber. Er sollte noch tollere Wichtigtuereien aufs Papier bringen: Bertis Analysen, Frau Illgners Ergüsse.... Immer eingedenk der verkaufsträchtigen Erkenntnis: Fußball ist nicht nur für Kluge gedacht. Heinz Florian Oertel

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen