piwik no script img

Die tollen Ollen

■ Die 1. Bremer Alten-Theater-Tage in Straßenbahn und Waller Westend / Emperimente mit Jung & Alt

Johannes ist ein Jugendlicher, der die Seelen alter Damen zum Kochen bringen kann. So einer im Military-Look, der sich gerne cool auf die Bänke fleezt, die Turnschuhe auf dem Sitz ablegt – und sich nicht einmal die Schnauze dabei verbieten läßt. An seine Adresse gerät jeder Benimm-Ratschlag zum Schlag ins Wasser. Ihm ist ihm kein Argument zu schlecht, um es gegen die die Füße-runter-Mafia zu schleudern, die der schlechten Jugend von heute noch Manieren beibringen will. Ob im Bus, in der Bahn oder auf der Parkbank: Das Feindbild seiner Generation ist betagt, ondoliert womöglich, und garantiert weniger harmlos als es aussieht. Das sind die Eckwerte im Vorbehaltskatalog der Generationen. Gestern kamen sie bei der Eröffnung der 1. Bremer Alten-Theater-Tage im Waller „Westend“ von beiden Seiten auf den Tisch, bevor das viertägige Festival am nachmittag noch so richtig eröffnet wurde. Aber kein Mißgeschick war der Grund für solche Offenheit – sondern sorgfältige Planung.

„Ein Experiment“, sagt Claudius Jöcke, der Urheber der Idee von den Alten-Theater-Tagen – und meint damit weniger das erstmalige Ausrichten der Veranstaltung, sondern vor allem die Mischung aus Alt und Jung, die da aufeinandertraf. Denn daß über die Generationengrenzen hinweg in Workshops am theatralischen Schliff gefeilt werden sollte, war vor dem Beginn der Theatertage durchaus auf gemischte Gefühle gestoßen, „obwohl alle fanden, daß diese Verbindung zum gleichzeitig stattfindenden Landes-Schultheatertreffen reizvoll sein könnte“. Nur – wer würde garantieren, daß die Reize vor allem positiver Natur wären?

Überwiegend Experimentierfreudige trafen sich deshalb in den drei morgendlichen Werkstätten, die noch viel zahlreicher hätten sein dürfen. „Wir mußten sehr vielen SchülerInnen absagen“, bedauerte Claudius Jöcke. Aber den 32 Schülertheatergruppen sind die acht Altentheater aus Bremen und Bremerhaven zahlenmäßig so sehr unterlegen, daß die Organisation anders nicht denkbar gewesen wäre. „Außerdem kann „Verstecktes Theater“ mit mehr als einer Handvoll Personen sowieso kaum funktionieren.“ Die subversive Schauspielerei nämlich lebt davon, daß ihre ProtagonistInnen nicht erkannt werden, während sie andere in eine Diskussion verhakeln. Nehmen wir die Füße vom jungen Johannes – und Ellis Meinung. „Das muß ich doch mal monieren“, beschwerte sich nämlich die betagte Schauspielerin vom Altentheater Schattenspiel gestern deutlich über die aufgebahrten Füße des jungen Kollegen – und schon war das Thema perfekt, das einen guten Anlaß zum Generationenstreit abgibt; da nickten alle acht Köpfe. Und wenn Johannes Rolle und wirkliches Leben immer noch nicht trennen will und sein intimstes Argument für den dreckigen Schuh auf dem Polster verschießt: „Das ist gut gegen Hämmorhoiden“ – spätestens dann ist subtiler Sinn für Dramatik gefragt. Dann ist es höchste Zeit für die Silberlocke Gunda und ihren prima Auftritt: „Man bringe mir einen Stuhl“, lacht sie so laut, daß auch die anderen in der Gruppe ein wenig die Zähne zeigen – und Johannes' Spiel ist aus. Sein Verhalten ist nur noch Vorlage, aus dem die Rollen skizziert werden.

Dann wird es ernst, Gunda bürstet ihr rotes Haar gegen den Strich – und wird fortan die Alte sein, die in der Straßenbahn auf dem Behindertenplatz die Füße ab legt. Denn beim versteckten Theater ist alles Bühne und das Spiel ist getarnt als wirkliches Leben. Als ein Konflikt, der Stoff zum Diskutieren bietet. Dann kommt Johannes gespielte Stunde, wenn er Gunda in der vollbesetzten Straßenbahn anpflaumt: „Nehmen Sie die Füße runter“. Und: „Wenn ich das machen würde, würden alle meckern“. Und der Rest der Truppe regt sich auf, zusammen mit den ahnungslosen Nebensitzern. Über die Alte, über den frechen Jungen. Oder über die ganze Aufregung für nichts. Noch drei Tage dauert das Alten-Theater-Treffen – kann sein, Sie haben einen Logenplatz, wenn Sie heute in der Straßenbahn sitzen. ede

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen