piwik no script img

Palatschinken mit Berliner Gelee

Kultursenatorensperma, Heroin unter Glas und Berlin-Blockade: Mit „Memento“, einer Ausstellung über Berliner Konzeptkunst, wurde in Prag das Festival „Berlin Heute und Hier“ mit Erinnerungsstückwerk eröffnet  ■ Von U. K. Wallner

Prag, gerade mal fünf Stunden von Berlin entfernt, ist nicht nur Reiseziel architekturbeflissener Romantiker. Amerikanische Beatniks haben sich dort angesiedelt, weil die Stadt sie an San Francisco erinnert. Und auch die Geschichte verfolgt einen auf Schritt und Tritt, wirkt wie ein aufgeschlagenes „Memorial“, das nach Beklemmung und Sehnsucht nach Freiheit riecht. Nur hier, in dieser diffusen Stadt des schwarzen Barock, konnte Kafkas „Schloß“ entstehen. Prag ist ein widersprüchlicher Ort zwischen erheiternder Faszination und triefendem Symbolismus – gestern wie heute; er läßt zeitgenössischen KünstlerInnen genug Spielraum, um Vergangenes zu vergegenwärtigen. Im Kontext der Ausstellung „Memento“, die von den Kuratoren Barbara Straka, Jiri Sevcik und Jana Sevcikova konzipiert wurde, heißt das soviel wie: Reflexion der Geschichte, Reflexion des kollektiven Gedächtnisses und natürlich des Erinnerns – eben „Memento“. Die Show soll, so meinen die Kuratoren, im historischen Sinne eine Aufforderung zum Be-, Ge- und Nachdenken sein. Notizen, Rügen und Denkzettel, von künstlerischer Hand geschaffen, sollen Ausstellungsbesucher und Flaneure zum Nachdenken bringen.

16 Berliner KünstlerInnen folgten dieser Aufforderung und gingen formalästhetisch auf die Ausstellungsräume im „Haus zur Steinernen Glocke“ ein. Mit Bravour. Sie reflektierten nicht nur unsere politische Vergangenheit, die im internationalen Kontext bereits zur Genüge und „politisch korrekt“ thematisiert wurde (auch wenn Fritz Meisterkamps blaue Hakenkreuze auf weißem Porzellan die Wiederkehr der Geschichte doch ziemlich deutlich vorführten), sondern konzipierten darüber hinaus „Memos“, die Selbst- oder kunsthistorische Reflexionen tematisieren. Wie zum Beispiel Leonards Laganowskis mit seinem Environment „Das Kabinett des Dr. Laganovskis“. Es ist ein Sammelsurium aus eigenen Arbeiten Laganowskis, die in den letzten zehn Jahren entstanden und im Raum verteilt an den Wänden lehnen oder zum Teil mit Stoffkissenbezügen halb verdeckt in Regalen lagern, und Kuriosem wie einer kleinen Eiweißbank. Die auf der Etikettierung genannten Eiweiß- Spender sind an der Ausstellung teilnehmende Künstler, aber auch Ulrich Roloff-Momin und Michael Jackson spendeten angeblich ein paar Tröpfchen.

Laganowskis spielt mit seiner Arbeit einerseits auf die Geschichte des Künstlers als Genie, Wissenschaftler und Alchemist an und stellt gleichzeitig einen Bezug zu der mit Prag verbundenen Legende des „Urfaust“ her. Andererseits verweist er auf die Kunstkammern als frühe Sammlungsform, die sowohl am Hofe Peters des Großen, als auch um 1600 am Prager Hof Kaiser Rudolfs II. entstanden.

Betäubungsmittel als Innendekoration

Auch Thomas Kunzmann vernetzt Altes und Neues in seiner Raum- Installation „Elegant Disaster Design“. Der rote Teppichboden, das weiße Designersofa und eine von Kunzmann zur Ausstellung herausgegebene Zeitung in tschechischer und deutscher Sprache laden die Besucher vorrangig dazu ein, sich zu entspannen und das zuvor gesehene eventuell reflektieren zu können. Zur Dekoration des legeren Clubraumes dienen ältere Arbeiten des Künstlers – etwa ein rundes Möbel, unter dessen gläserner Tischplatte diverse Drogen lagern. Sie sollen den Raum auch im eigenen Innen veredeln: Design als Instrument der Kulturgeschichte in einer „Aspirin Society“.

Neben Betäubungsmitteln wird den Besuchern auch visuelles Futter angeboten. Das lieferten wiederum Svetlana Kopystianski und Renate Anger mit ihren Reflexionen auf die unüberwindliche Distanz zwischen bereits Geschichte gewordener und zeitgenössischer Kunst.

Kunstgeschichte in hauchdünnen Stoffen

In kleinformatigen Fotocollagen konfrontierte Kopystianski real vorhandene Landschaftsabbildungen mit abfotografierter Landschaftsmalerei aus der Kunstgeschichte. Anger ließ eigene Malerei mittels Computer und Scanner auf transparente Stoffe übertragen und verhängte damit bereits vorhandene Wandmalerei aus dem 18. Jahrhundert, die durch die hauchdünnen Stoffe hindurch sichtbar wurden. Beide Künstlerinnen liefern kunsthistorische Gegensätze, die der Frage nach der Wiederholung der Kunstgeschichte und der Reproduzierbarkeit in ihren Erscheinungsformen nachgehen.

Lisa Schmitz richtet sich in ihrer Arbeit gegen das Vergessen von Geschichte. Sie füllte eine Vitrine mit Kinderhemden, die aus amerikanischen Mehlsäcken hergestellt wurden, und authentischem Bildmaterial, das an die Berlin-Blockade während des Jahres 1948/49 erinnert. Darüber hinaus tritt Lisa Schmitz in einem kleinen Laden, in dem früher Franz Kafkas Vater Modeartikel vertrieb, für mehrere Wochen mit dem Prager Publikum in einen direkten Dialog zum Thema Europa.

Mehlsäcke aus der Zeit der Berlin-Blockade

Die beiden Geschäftsräume sind mit Foto- und Schriftmaterialien und einem Bronzekasten mit dem eingravierten Wort „Eigen“, sowie Tisch- und Stuhlmobilar eingerichtet. Mit einem Schild in der Manier der Werbeträger, die sonst überall in Prag auf das Geschäft des „Change – Exchange“ hinweisen, wirbt die Künstlerin für ihr europäisches Dialoggeschäft. Ein Geschäft, das nicht nur ebenso gut floriert wie der Devisentauschhandel, sondern darüber hinaus mehr Kommunikation herbeiführte als das zweitägige Symposion, das im Rahmen der Ausstellung unter dem Motto „Geschichte, Gedächtnis, Erinnerung als Paradigma zeitgenössischer Kunst“ vom Goethe- Institut veranstaltet wurde. Kulturelle und sprachliche Barrieren sind offensichtlich nach wie vor unüberwindbar, und möglicherweise ist Europa doch nur eine „Muse“, die in Brüssel und Maastricht lebt.

„Memento“. Austellung noch bis zum 3. Juli im „Haus zur Steinernen Glocke“ der Galerie der Stadt Prag am Altstädter Ring, Prag 1, Di.–So. 10–18 Uhr. Der Katalog zur Ausstellung kostet 120 Kronen.

Zudem bietet das Festival „Berlin Heute und Hier“ bis zum 3. Juli sowohl klassische als auch experimentelle Musik, Theater, Lesungen und Workshops.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen