Sanssouci: Nachschlag
■ "Der Gedichtemacher" - "MultimediaOper" im Tacheles
Variationen zum Thema Schere? Foto: Thomas Aurin
Die Geschichte ist ebenso skurril wie einfach: Der Gedichtemacher begegnet auf dem Weg zu seiner ersten Radiosendung den Gefahren und Widerwärtigkeiten des Lebens. Zunächst wird er von der abgeschnittenen Hand eines Busfahrers verfolgt. Dann fällt nolens volens ein Kunstmaler vom Gerüst und ihm direkt vor die Füße. Da dem Gedichtemacher nun aber Ereignisse ohne Regel ein Greuel sind, dichtet er sich diese Ungereimtheiten zurecht. Erst als er auch noch in die Fänge einer Hure ohne Löcher gerät, wird selbst er in seiner Unerschrockenheit bange.
Erzählt wird diese merkwürdige Geschichte von drei Sängerinnen: Silvia Moss, Louisa Bradshaw und Michaela Caspar. Begleitet von Pop-Patterns skandieren sie melodramatisch den Text von Till von Heisler, schnattern verfremdete Tierstimmen oder singen die selbstgestrickten Lieder des Helden gekonnt und stimmgewaltig im Trio (Musik: Sybille Pomorin). All das zusammen nennt die Gruppe Hai Gorgai in schönster dadaistischer Übertreibung eines „schräge MultimediaOper“. Damit haben sie zu hoch gepokert. Auch wenn Dias an der Wand die Szenerie wie in einem Bilderbuch illustrieren und ein Gemisch verschiedener Musikstile von Purcell bis Pop die seltsamen Vorfälle begleitet – der ganze Aufwand versackt in Langeweile, die Inszenierung von Michaela Caspar bleibt in der Kluft zwischen Blödsinn und Bedeutung hängen.
„Es gibt nichts Neues unter der Sonne“, zitiert der Gedichtemacher Salomo aus der Bibel. Recht hat er. Aber: Daß ein Mensch aus einem oberen Stock unmotiviert auf die Straße fällt, ist in der Kürzestprosa von Daniil Charms aus dem Jahr 1937 durchaus komisch. Aber abendfüllend war die schrille Aneinanderreihung solcher Elemente vielleicht vor 30 Jahren. Das Absurde irritiert heute nicht mehr, ist – so ganz ohne leise Töne – auch nur selten wirklich komisch, und außerdem überfrachtet: Bedeutungsschwangere Cello-Soli werden dazwischengeklemmt, die zu der restlichen Komödie nicht so recht passen wollen. Zu allem Überfluß endet die Geschichte auch noch mit einer Moral, die nach dem Klamauk wie ein deus ex machina aufs Publikum niederfährt. Der Gedichtemacher erkennt plötzlich, weil er eine gelbe Fliege zu Tode tritt, die „Drangsal der Welt und ihre unerschöpfliche Unvernunft“. So scheitert er mit seinen Versuchen, die Welt in Reimen zu regeln, und begreift, daß alles sinnlos ist. Das ist nichts Neues. Christine Hohmeyer
Bis 3.7., 20.30 Uhr, Tacheles, Oranienburger Straße 53-56, Mitte.
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