: Alle glauben an Rot-Grün, nur die CDU nicht
Die CDU in Sachsen-Anhalt will nicht glauben, daß die SPD von ihr nichts will / Bergner ist gar kein Sozialistenfresser ■ Aus Magdeburg E. Löblich und M. Schießl
Magdeburg (taz) – „Jetzt reicht's aber“, geifert der Reporter von Sat 1. Ganz unglaublich findet er, daß man ihm nicht verraten will, wo das Zusammentreffen der zukünftigen Koalitionspartner von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen stattfinden soll. Immerhin ist er die Öffentlichkeit, und die will informiert sein. „Dazu haben Sie die Pflicht“, herrscht er die grüne Spitzenkandidatin Heidrun Heidecke an. Doch die lacht ihn aus: „Sie werden schon früh genug erfahren, was herauskommt.“
Um 13 Uhr gingen die Partner in spe gestern an geheimem Ort in Klausur, um in groben Zügen zu klären, wie die weiteren Gespräche verlaufen sollen. Am Zustandekommen der rot-grünen Minderheitsregierung zweifelt ernsthaft keiner mehr – außer der CDU. Denn auch die trifft sich zeitgleich: „Wir wollen im internen Kreis besprechen, wie wir unsere Koalitionsverhandlungen führen“, sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende Jürgen Scharf, der schon unter der Regierung Münch als dessen Wadenbeißer galt. Er spielt auf das geplante SPD-CDU-Gespräch am Sonnabend an.
„Wenn die meinen, das sei ein Koalitionsgespräch, dann wird es kurz sein“, ärgert sich SPD-Pressesprecher Jürgen Kriesch. Seine Partei will die Zusammenkunft ganz klar als rein informelles Treffen verstanden wissen. „Dort wird nicht verhandelt.“
Doch die CDU hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Die Propagandamaschinerie gegen Rot-Grün läuft auf vollen Touren. Edmund Stoiber, Ministerpräsident von Bayern, hat seine CSUler bereits zusammengetrommelt, um die „drohende Volksfront“ abzuwehren, und kündigt für den Wahlkampf eine „unglaublich giftige Auseinandersetzung“ an. Sachsen- Anhalts CDU-Landesvorsitzender Karl-Heinz Daehre wettert gegen den „perfidesten Wahlbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik“ und Fraktionschef Scharf warnt vehement vor der PDS als „bestorganisierte kommunistische Plattform“.
Nur Ministerpräsident Christoph Bergner fällt verdächtig leise ein in den Chor. „Ich werde bis zum letzten Moment für die Große Koalition kämpfen und mich auch wieder zur Wahl stellen.“ Doch als er am Dienstag bei einer Fernsehsendung auf PDS-Fraktionschefin Petra Sitte traf, gab man sich freundschaftlich. Tatsächlich schienen die Berührungsängste in der Realität weniger groß: Die CDU hat bereits zugestimmt, daß die PDS-Kandidatin Roswitha Stolfa im zukünftigen Landtag Vizepräsidentin wird, auch wenn Augure Scharf noch einmal warnt: „Ich wittere Böses.“
Im Gegensatz zu Scharf gilt Bergner als eher appetitloser Sozialistenfresser. Bereits im Dezember 1993 trat er in einem Gastkommentar der Magdeburger Volksstimme für die Aussöhnung mit politisch belasteten Menschen ein. Es müsse „für die Betroffenen möglich sein, nach einer Zeit der Ausgrenzung wieder vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu werden“. Selbst den öffentlichen Dienst will Bergner Stasi- und SED-belasteten Personen nicht auf Dauer verschließen. Er warnte damals vor „leichtfertig gefällten lebenslänglichen Urteilen“.
Aber wo die PDS einer rot-grünen Minderheit zur Macht verhelfen kann, passen solche versöhnlichen Worte gerade nicht ins politische Weltbild der CDU.
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