piwik no script img

Absurder Geschlechtertausch

■ Theater Trivial spielt „Die Brüste des Tiresias“ mit Stabpuppen

Vergessen Realität, Zeit und Langsamkeit. Was ist, kann nicht sein und wird doch geglaubt. Eine Frau entledigt sich ihrer Brüste, wird Abgeordneter, Anwalt, Philosoph und ihr Mann bekommt 40.050 Kinder. Das Theater Trivial setzt mit seinen Stabpuppen das surrealistische Drama Die Brüste des Tiresias von Guillaume Apollinaire schrill und temporeich aberwitzig in Szene.

Ständig wechseln die Farben der Beleuchtung, die Bühne gleicht einem bunten Kaleidoskop. Von ihren weißen Plastikstühlen sehen die Zuschauer in die unglaublich tiefen Kulissen und scheinen von ihnen verschluckt zu werden. Die Schauspielerstimmen vom Band charakterisieren die Figuren treffend, als seien sie der beruhigende Unterton für die Absurditäten auf der Bühne. Alle Puppen wirbeln und drehen sich bis zur Lebendigkeit.

Gerade im absoluten Irrsinn ist das Stück aktuell. Feminismus, Männermacht und der ganz normale menschliche Wahnsinn - auf der Bühne surrealistisch, doch hell leuchtet der Funken Wahrheit. Das 1989 gegründete Theater Trivial treibt die Groteske um den Geschlechtertausch im Geschwindigkeitsrausch seines Puppenspiels auf die Spitze. Keine Ruhe, keine Zeit zum Denken ist dem Publikum vergönnt. Doch gerade dadurch wird das Stück erst verständlich.

Leider gelingt dem Sechs-Personen-Ensemble die eigene Geschwindigkeit nicht in allen Phasen. Ab und zu kommt das Gefühl auf, als müsse die Zeit gedehnt werden, um auf eine Dreiviertelstunde Spielzeit zu kommen. Sei's drum: Der Spaß am Stück kommt dennoch nicht zu kurz. Tatsächlich könnte es als kleine Puppenbühne in sparwütigen Zeiten beinah beispielhaft für große Theater sein in punkto Lebhaftigkeit und Einfallsreichtum. Die Brüste des Tiresias läßt sich zu den gelungenen Aufführungen Theatersaison rechnen.

Das Publikum dankte den Akteuren mit anhaltendem Beifall und großem Interesse für die allesamt selbstgebauten - kleinen - Requisiten. Erstaunlich, wie klein die Bühne doch in Wirklichkeit ist....

Torsten Schubert

Weitere Aufführungen: Am 2.7. 20 und 22 Uhr sowie am 3.7. 16 und 20 Uhr jeweils im Kunststück, Eimsbüttler Chaussee 23.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen