Viel dicke Luft, keine Konsequenzen

■ Studie „Gesundheit und Verkehr“ fordert massive Verkehrsreduzierung, aber Gaertner mauert

Wenn es noch eines letzten Beweises bedurfte, daß Bremen am Autoverkehr erstickt, dann liegt er jetzt vor: Nach zwei Jahren Messungen und Rechnungen und einem halben Jahr politischer Auseinandersetzung präsentierte gestern Gesundheitssenatorin Irmgard Gaertner den Abschlußbericht der vieldiskutierten Studie „Gesundheit und Verkehr Bremen“ des „Büros für Verkehrsökologie“. Gaertners Fazit: „Nachdrückliche Identifizierung mit den grundsätzlichen Zielen der Autoren“ – doch die von den Gutachtern geforderten konkreten Maßnahmen zur Reduzierung von Lärm und Gestank will die Gesundheitssenatorin nicht mittragen.

Die Studie, die aus Messungen in der Neustadt und der Vahr entstand, belegt eindrucksvoll die Belastungen, die BremerInnen durch den Autoverkehr ausgesetzt sind: Weite Teile der Neustadt sind hoch mit krebserregenden Schadstoffen belastet, die gemessenen Werte bei Stickoxiden, Benzol und Rußpartikeln liegen zum Teil beim Zehnfachen der aus gesundheitlicher Sicht angestrebten Zielwerte. Die Studie ist in der Bewertung deutlich: „Ein Vergleich der Risiken für eine Krebserkrankung durch Kfz-Abgase und Asbest zeigt, daß in der Oldenburger Straße ein 22fach höheres Krebsrisiko aufgrund von Benzol- und Dieselrußbelastungen abgeschätzt wird als in asbestsanierten Gebäuden zulässig ist.“ Bei der Belastung durch nicht-krebserregende Stoffe in der Neustädter Luft folgert das Gutachten: „Bei Kleinkindern ist in allen beschriebenen Straßen der Neustadt mit gehäuft auftretenden Atemwegserkrankungen zu rechnen.“ Auch bei der Belastung durch Lärm das befürchtete Resultat: Die Hauptverkehrsstraßen der Neustadt liegen im Schnitt tagsüber bei mehr als 65 und nachts bei mehr als 55 Dezibel – Werte, die das Herzinfarktrisiko in die Höhe schnellen lassen. Die Folgerung des Gutachtens: „Ruhiges Schlafen ist entlang von Hauptverkehrsstraßen und z.T. auch in Wohnstraßen nicht mehr möglich; Unterhaltung im Straßenraum ist Streß; Schlafen bei geöffnetem Fenster ist Luxus. “

Gründlich aufgeräumt hat die Studie mit der Ansicht, Bremen sei mit seinem Schmuddelwetter anders als andere Großstädte eine „Reinluftzone“. Und auch die von der Behörde verlangte Nachbesserung des Gutachtens schlug ins Gegenteil um: Der Gruppe aus Gesundheits-, Umwelt- und vor allem Baubehördenvertretern hatte im letzten November die Konzentration auf die Neustadt nicht gepaßt. Nun also stellt das BVÖ fest: „Eine ähnliche Belastungssituation wie in der Neustadt läßt sich in Bremen für ähnlich bebaute und verkehrlich belastete Teile von Gröpelingen, Walle, Östliche Vorstadt, Woltmershausen, Findorff, Hastedt und Hemelingen vermuten.“ Zu deutsch: Werte und Forderungen für die Neustadt sind – mit aller Vorsicht – auf ganz Bremen übertragbar.

Die Schlußfolgerung aus ihren Zahlen heißt für die Gutachter: „Dringender Handlungsbedarf“: Für die Neustadt schlagen sie kurzfristig vor: Flächenhaft Tempo 30, mehr ÖPNV, Bündelung des Lkw-Lieferverkehrs. Auch zur gestaltung der Straßen hat das BVÖ Vorschläge: Umwandlung der Pappelstraße in eine verkehrsberuhigte Zone mit Tempo 20, Rückstufung der Friedrich-Ebert-Straße von einer Bundes- zu einer Gemeindestraße mit Tempo 30, Ausweisung der Langemarckstraße als „Umweltverbundstraße“ mit Schwerpunkt auf Radverkehr, Unterbrechung der Durchfahrtmöglichkeit und Tempo 30, Lärmschutzwand an der Oldenburger Straße, Nachfahrverbot für Lkw, kein Ausbau der Neuenlander Straße.

Diese verkehrspolitischen Grausamkeiten will die Gesundheitssenatorin allerdings nicht mittragen. Sie verwies darauf, Regelungen über Stellplätze, über lokale Gesundheitsberichterstattung und besseren ÖPNV seien bereits in Planung, andere Maßnahmen wie eine integrierte Verkehrsplanung seien „gewünscht, aber nicht konkret geplant.“ Schließlich verwies die Senatorin indirekt auf den Konflikt, den die Studie zwischen den Ressorts Gesundheit und Bau verursacht hat und darauf, daß ihr mangels Kompetenzen für Stadtplanung die Hände gebunden sind: „Bei der Abwägung haben im Senat häufig verkehrspolitische und wirtschaftspolitische Interessen den Vorrang.“

bpo