Wand und Boden: Feind statt Mensch
■ Kunst in Berlin jetzt: Raab, Baumgartner, Hauser, A Drei
Ein Mann und eine Frau: Klaus Baumgartner und Silke Raab in der Galerie Ermer. Sie nimmt die Wand in Beschlag und reproduziert auf 24 Texttafeln eine „Binsenweisheit“ (1994) von Vilém Flusser, die mitnichten eine ist. Er drückt sich in die Ecke gleich neben den Eingang und verstaut unter einem graugestrichenen Holztischchen fünf Wolldecken und ein Akkordeon im Koffer: „Mama wird 100. Donauwalzer“ (1994). Die von Silke Raab zitierte Textpassage ist eine ziemlich krause Phantasie vom Ende der Schrift. Flusser sieht dieses Ende vom Wuchern der Wälder und des Schilfs begleitet, deshalb geht bei Raab der Titel in die Binsen, gewissermaßen. Die Texttafeln ergeben durch den Verlauf der Wörter eine Binnenfigur, die an die Anordnung der bunten Kugeln eines Abakus denken läßt. Den Kugeln entsprechen Buchstaben und Wortgruppen, die im Umfeld brauner Eisenoxydpigmente als schablonierte Weißflächen sichtbar werden. Die Groteskschrift charakterisieren spitze Keile, die Form, in welcher sich die Pigmente in die Ws, Ms und Ns schieben. Dem aufstachelnden Element der Menetekel-Schrift an der Wand wird ein beruhigendes, bürgerliches Ambiente gegenübergestellt: ein kleines Holzbord mit William Shakespeares sämtlichen Werken. Beunruhigend bleibt dagegen der mit dem Inhalt eines Schußfanges gefüllte Suppenteller, der auf Klaus Baumgartners Tisch steht. Und weil die Installation einen Geist wildester Ordnungsliebe zeigt und so sauber aufgeräumt erscheint, entkommt man dem Gefühl nicht, man habe sich diese Suppe selber eingebrockt und müsse sie nun auch auslöffeln. Zumal das praktische Werkzeug hierzu – ein Wink? – schon inmitten des Blei-Breis steckt.
Bis 16.7, Di-Fr 16-19, Sa 13-17 Uhr, Knesebeckstraße 97.
Simpel gegen die Wand gelehnt, so stehen eine Woche lang Thomas Hausers „Brandneue Bilder“ im Gang der Hotel-Pension Nürnberger Eck. Auf großen Holztafeln hat Hauser in bewußt kunstlosem Farbauftrag – fette, pastose Ölfarbe in braunen bis beigen Erdtönen – Streifen, Karos oder die Naturovale einer Holzmaserung nachgezeichnet. Was zunächst als eine genormte, industrielle Oberfläche erscheint, ist doch das skeptische Bekenntnis zum Tafelbild und seinem Ereignisort, der Malfläche und deren Bearbeitungstradition. Die Malerei ist vielleicht tot, was die tot gemalten, mit Farbe geradezu versiegelten Oberflächen reflektieren. Doch hier an Wandflächen, die noch ganz traditionell mit einer Blumentapete verschönert wurden, schärfen diese Bildtafeln den Blick für die Frage, was wir sehen wollen,
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was wir zu sehen bekommen und was wir zu sehen erwarten, in einer Welt, die sich vor Bildern nicht mehr retten kann. Famous Fashion Models, wie Naomi Campbell oder Kate Moss, sind sicher Bilder, die wir zu sehen erwarten, weil wir sie ständig zu sehen bekommen, aber in dieser zweiten, von Thomas Hauser gewählten Visualisierungsstrategie sicher nicht: Wir sind also überrascht, 66 in Öl gemalte Schwarzweißporträts vorzufinden, erinnern uns an Gerhard Richters 48 Porträts wichtiger Menschen, die naturgemäß eine Männergalerie bilden, und loben die Verbindung der Wahrnehmung dessen, wer und was massenmedial wirklich wichtig ist, mit dem künstlerischen Eigensinn, diese Figurinen der Mode und des Zeitgeists im Bildgeviert unzeitgemäß stillzustellen.
Brandneue Bilder, bis 7.7., täglich, Nürnberger Straße 24a.
„Der Feind steht bei uns im Mittelpunkt.“ Ursprünglich war es der Mensch, der nun durchgestrichen ist. Mit diesem Satz und einer Zielscheibe in Körperform collagierte Martin Wohlrab seinen Beitrag in der Kunstzeitschrift Entweder/Oder Nr. 55, die dem Problem Stasi gewidmet ist. E/O ist wie „A Drei“ ein Produkt der Dissidenten- Kultur der 80er Jahre. A Drei etwa war weniger eine Kunstzeitschrift als ein Mappenwerk aus Druckgrafiken, Fotografien und handgetippten Gedichten, das in einer Auflage von 15 Stück hergestellt und verteilt wurde. Nur wenige also bekamen A Drei jemals zu Gesicht. Jetzt sind Grafiken und Fotografien aus A Drei und Entweder/Oder in der Galerie auf Zeit von Thomas Günther allgemein zugänglich. Zumindest für die Westlerin ist es eine irritierende Rückschau, auch wenn viele Namen, die etwa in „A Drei 1/89/15 – Aspekte aktueller DDR-Fotografie“ auftauchen, hier durchaus geläufig sind: Thomas Florschütz, Barbara Kohler, Gundula Schulze, Angela Hampel, Jörg Knöfel oder Michael Brendel. Auch ihre Themen und Konzepte sind westlich vertraut: der Körper bei Michael Brendel; Alltagsdokumentationen, Kevin Coyne in Leipzig 1984, fotografiert von Jochen James, ein „Doppelporträt“ zweier Punker, 1983 aufgenommen von Thomas Florschütz. Trotzdem ist der Kontext spürbar fremd, undurchschaubar, weshalb er zum Studium reizt. Auch weil erst kürzlich ein gewichtiges Konvolut von Dokumenten des Kunst- Undergrounds der DDR nach Santa Monica/Kalifornien verschifft wurde. Schon wieder ist Thomas Günther sozusagen „alternativ“ – zum Flug ins Getty Center.
Bis 9.7., Di-Fr 18-21 Uhr, Sa 11-14 Uhr, Auguststraße 71. Brigitte Werneburg
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