: Freie Hand für Berlusconi?
■ Berlusconis "Rettungsdekret" zwingt die Intendanz der RAI zum Rücktritt
Die „Professoren“ hat er los, die Anstalt selbst an der kurzen Finanzleine fest im Griff. Der Einmarsch seiner Getreuen ist längst vorbereitet: Mit dem angeblich lediglich „erneuerten“ Dekret namens „Salva RAI“ (RAI-Rettung) hat Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi einen weiteren Schritt in Richtung Machtergreifung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen getan. Die fünf aus der Intellektuellenwelt stammenden und daher „Professoren“ genannten Rundfunkräte – eine Frau und vier Männer – sowie Intendanz und Generaldirektion der RAI sind zurückgetreten. Die Programmdirektoren werden in den nächsten Tagen folgen.
Eine winzige Modifizierung in der ansonsten tatsächlich nach dem Muster der vorangegangenen Regierung Ciampi gestrickten Verordnung hat den Verbleib der erst vor einem Jahr eingesetzten Indentanz und des Rundfunkrates an die „Billigung des Dekrets durch das Parlament“ gebunden – eine glatte Erpressung, und dies in mehrfacher Hinsicht. Sollte die Opposition, die das Verfahren wie den Inhalt der Maßnahme heftig kritisiert, mit ihrer Mehrheit im Senat das Dekret – das innerhalb von drei Monaten in ein förmliches Gesetz umgewandelt werden muß – zu Fall bringen, ist damit die von eben dieser Opposition geschätzte unabhängige Leitung des staatlichen Fernsehens perdu. Dies setzte wiederum den Rundfunkrat und die Indentanz so unter Druck, daß nur noch der Rücktritt blieb. Seit vergangenen Freitag hat Berlusconi, was er wollte – freie Hand bei der Bestimmung der künftigen Intendanz.
Bis zum letzten Augenblick hatte Staatspräsident Scalfaro gezögert, das Dekret zu unterzeichnen – es ist (nicht nur) nach seiner Meinung schon aus einem Grund verfassungswidrig: Sach- und Personalentscheidungen werden unzulässig miteinander verknüpft. Doch eine Verweigerung der Unterschrift ist dem Präsidenten nur in eng umschriebenen Grenzen möglich – wenn durch die Inkraftsetzung das Wohl des Staates unmittelbar gefährdet ist (etwa bei mangelnder finanzieller Deckung einer Maßnahme) oder wenn internationale Konflikte drohen. Doch die Anbindung der öffentlichen Rundfunkanstalt an die Regierung kann, das haben die Berater dem Staatschef klargemacht, jederzeit durch das Verfassungsgericht wieder rückgängig gemacht werden. Der Schaden wäre so wieder beseitigt. Man muß also das Dekret erst einmal schlucken, um es dann auf juristischem Weg zu bekämpfen.
Bis dahin wird freilich viel Zeit vergehen, und in dieser werden Berlusconis Leute den Sender vom Intendanten bis zum Pförtner besetzen – „Mann für Mann und Frau für Frau“, wie die Gewerkschaft „Lusigrai“ fürchtet –, und das ist dann natürlich auch durch das Verfassungsgericht nicht mehr rückgängig zu machen.
Damit geht eine Periode zu Ende, in der Italiens öffentliches Fernsehen erstmals seit seinem Bestehen eine gewisse Unabhängigkeit erreicht hatte. Bis letztes Jahr waren die Gremien des Senders ebenso wie die leitenden Posten praktisch ausschließlich von den Vorsitzenden der großen Parteien untereinander ausgemauschelt worden. Der erste Kanal ging somit traditionell an die Christdemokraten, der zweite an die Sozialisten, der dritte an die Kommunisten, nunmehr Linksdemokraten. Nach der Reform von 1993 mußten die – von einst sechzehn auf fünf reduzierten – Räte gemeinsam vom Präsidenten des Senats und dem des Abgeordnetenhauses eingesetzt werden. Sie hatten danach absolute Autonomie in ihren Entscheidungen.
Die Früchte der Reform waren bemerkenswert: Aus der betulichen Anstalt wurde ein ernsthafter Konkurrent für das aggressive Privatfernsehen, die Sendungen wurden farbiger und gleichzeitig billiger, die Reaktionen auf Veränderungen in der Gesellschaft kamen schneller. Der Hörfunk wurde gänzlich umgestaltet – das erste Programm gestaltete sich zum reinen Nachrichten- und Aktualitätscontainer um, das zweite ist für Musik und Magazine zuständig, das dritte läßt die Regionen zu Wort kommen. Altbackene Moderatoren wurden pensioniert, der Stil der Auseinandersetzung deutlich angehoben – mitunter konnten die Macher des Hörfunks schon am Mittag mit mehr als 30.000 Anrufen zu Ereignissen aufwarten, die erst in der Nacht geschehen waren und für deren Bewertung man ein Ja- und ein Nein-Telefon eingerichtet hatte. Alles Dinge, die die bisher im Monopol der Modernität schwelgenden Privatsenderketten Berlusconis aufs höchste beunruhigen mußten.
Möglicherweise hat sich der Medienherrscher bei alledem jedoch nun doch auch selbst ein Bein gestellt – und das nicht nur, weil die RAI-Angestellten ihre Unabhängigkeit notfalls auch mit einem monatelangen Streik oder – noch gefährlicher – durch einen Blackout von Meldungen über Berlusconis Heldentaten durchsetzen wollen. Denn für den Fall, daß das Dekret in ein Gesetz umgewandelt wird, haben der aus Berlusconis Politformation „Forza Italia“ kommende Senatspräsident Scognamiglio und die Abgeordneten-Präsidentin Pivetti, die der norditalienischen „Liga“ zugehört, erklärt, sie würden bei der Neubesetzung der Posten weder einen Parteiproporz akzeptieren noch zulassen, daß Personen dafür bestimmt werden, die jemals auch nur entfernt etwas mit Berlusconis Firmen zu tun gehabt haben.
Da wird Berlusconi wohl bald noch weitere Gesetze durchboxen müssen, die auch diesen letzten Rettungsanker der RAI aushebeln. Seine Lautsprecher verkünden denn auch bereits, daß man darauf hinarbeite, die leitenden Posten des Staatsfernsehens direkt durch das Parlament – und damit die Regierungsmehrheit – bestimmen zu lassen. Aus Rom: Werner Raith
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen