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Unnötige Polarisierung

■ Albanien: Knast für Ex-Präsidenten

Wien (taz) – Die Beweisführung war politisch gefärbt, die Strafe drakonisch: Am Samstag wurde der letzte kommunistische Staatschef Albaniens, Ramiz Alia, zu einer neunjährigen Haftstrafe verurteilt. Die Richter befanden den 68jährigen Ex-Stalinisten des „Amtsmißbrauchs“ und der „Verletzung der Bürgerrechte“ für schuldig, warfen ihm die Verantwortung für den Tod von flüchtenden Albanern an der Grenze sowie die Massenexekution von Regimekritikern und die Verbannung von deren Familienangehörigen vor. Wegen Veruntreuung wurde zudem eine Geldstrafe in Höhe von 16.000 Mark verhängt.

Neun weitere Ex-Regierungsmitglieder und Angehörige der Justiz wurden in einem Nebenverfahren zeitgleich zu Haftstrafen zwischen drei und acht Jahren verurteilt, unter ihnen die ehemaligen Innenminister Simon Stefani und Herkulan Isai. Schon im April war der frühere Chef der kommunistischen Partei, Fatos Nano, wegen angeblicher Hinterziehung von rund elf Millionen Mark westlicher Wiederaufbauhilfe zu 12 Jahren verurteilt worden. Alia, der 1985 die Macht vom gerade verstorbenen Gründer des stalinistischen Albaniens, Enver Hoxha, übernommen hatte, nahm am Samstag das Urteil ohne äußeres Zeichen der Bewegung entgegen. Der Richterspruch sei „juristisch unbegründet und politisch falsch“, so die erste Stellungnahme.

Während die albanischen Medien die Nachricht bislang ohne Kommentar vermeldeten, halten auch unabhängige Intellektuelle die Verurteilungen für problematisch. So vermutet der Schriftsteller Bashkim Shehu, der von 1981 bis 1990 als Sippenhäftling in der Verbannung leben mußte, daß die rechtsbürgerliche Regierung unter Präsident Sali Berisha mit der Prozeßlawine unliebsame Rivalen loswerden möchte. Denn auch in Albanien sind die sozialistischen Wendehälse aufgrund der allgemeinen sozialen Unzufriedenheit wieder im Kommen. Vor allem bei der Landbevölkerung genieße Ramiz Alia, aber auch Altgenossen wie Fatos Nano den Ruf „Wegbereiter der Demokratisierung“ gewesen zu sein.

Piro Misha, Vorsitzender der oppositionellen Bürgerbewegung „Offene Gesellschaft“, plädiert deshalb für eine Aufarbeitung der Geschichte „ohne Gerichtsverfahren“. Seine These: Bis zur Wende 1990 habe in Albanien ein Stalinismus geherrscht, wie ihn Osteuropa nur in den ersten Nachkriegsjahren erlebt habe. Deshalb könne man in bezug auf Mittäterschaft und Kollaboration nicht die gleichen Kriterien anlegen wie in Polen oder Ungarn. Misha und Shehu sehen in der Abrechnung mit den Exkommunisten eine unnötige Polarisierung der Gesellschaft. Karl Gersuny

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