Katholikentag kritisiert Amtskirche

■ Unter dem Motto „Unterwegs zur Einheit“ trafen sich 50.000 Christen in Dresden / Darunter Kohl und Herzog

Dresden (AP/dpa) – Vor mehr als 50.000 BesucherInnen der Schlußkundgebung auf dem 92. Katholikentag appellierte gestern der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, sich trotz mancher Entäuschungen für das Zusammenwachsen Deutschlands einzusetzen. „Gleichgültigkeit ist schlimmer als Streit“, rief Lehmann den Gottesdienstbesuchern auf dem Theaterplatz zu.

Unter den Besuchern waren auch der neue Bundespräsident Roman Herzog und Bundeskanzler Helmut Kohl. Herzogs erste Reise als Bundespräsident führte in die sächsische Landeshauptstadt. Zu dem fünftägigen Treffen unter dem Motto „Unterwegs zur Einheit“ reisten über 35.000 Dauerteilnehmer nach Dresden, die meisten aus Westdeutschland.

Auf der Hauptveranstaltung am Samstag hatten der Tübinger Theologe Hans Küng und der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, gemeinsam die Kirchen zu größerem Engagement für den Frieden aufgerufen. „Europa sei „im Aufbruch nach gestern, zu Nationalismus und Rassismus“, sagte Bubis und nannte die Kriege in der ehemaligen Sowjetunion und im ehemaligen Jugoslawien als Beispiele.

Kurz vor dem Abschlußgottesdienst kam es zu einem Zwischenfall: Ein offensichtlich lebensmüder Mann drohte, sich vom mehr als zehn Meter hohen Gerüst über dem Altar zu stürzen. Zwei als Priester verkleidete Polizisten konnten ihn überwältigen.

Papst Johannes Paul II. lobte in einer verlesenen Grußbotschaft den positiven Beitrag des Katholikentages für die Entwicklung Deutschlands. Er würdigte besonders die große Mitarbeit vieler evangelischer Christen. Bischof Lehmann sagte, von dem Treffen müsse neuer ökumenischer Schwung ausgehen. Rita Waschbüsch, Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, hatte Dresden als einen Glücksfall bezeichnet. Das Wagnis Katholikentag in der Diaspora – nur vier Prozent der Dresdner sind katholisch – habe sich gelohnt, meinte sie. Die 2,5 Kilometer lange „Kirchenmeile“ in der Innenstadt, bei der rund 200 christliche Initiativen über ihre Arbeit informierten, sei auch von der Bevölkerung gut angenommen worden. Auf zahlreichen Veranstaltungen hatten die Teilnehmer über die Probleme beim Zusammenwachsen von Ost und West diskutiert. Kritik an der Amtskirche und am Papst bestimmte weiter das Bild des Katholikentages. Vor allem das kategorische Nein zur Frauenpriesterschaft stieß auf Widerspruch. Der vom Vatikan 1979 gemaßregelte Theologe Küng nannte das Papst-Verdikt einen „Rohrkrepierer“. Lehmann lud zum nächsten Katholikentag 1998 nach Mainz ein, wo im Revolutionsjahr 1848 das erste Treffen stattgefunden hatte.