: „Versuch, einen möglichen Fehler zu decken“
■ Winfried Holzinger (43), Bundessprecher der Arbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten, über Widersprüche in der Darstellung der Polizei
taz: Herr Holzinger, der Niedersächsische Flüchtlingsrat spricht in einer Pressemitteilung von „Verschleierungstaktik“ der Polizei und davon, daß die Polizeiaktion gegen die Plakatierer der Einsatz eines Spezialeinsatzkommandos gewesen sei. Was sagen Sie dazu?
Winfried Holzinger: Das kann ich so nicht wiedergeben. Fakt ist, daß der Polizeibeamte einem Spezialeinsatzkommandos angehört. Von einem Sondereinsatz ist mir nichts bekannt. Ich habe das nachts über Funk mitgehört, da ich selber unterwegs war. Es hörte sich eher so an, als ob eine normale Streife unterwegs war. Beamte des Spezialeinsatzkommandos machen in der Stadt Hannover auch den üblichen Streifendienst. Zum Thema Verschleierung: Ich glaube eher, daß hier die Polizeiführung versucht, den Mantel über den Kollegen zu decken, damit er vor Angriffen gesichert ist. Daß versucht wird, vielleicht einen möglichen Fehler zu decken, der von einem Polizeibeamten begangen worden ist.
Der Anwalt, der die Hinterbliebenen des Erschossenen vertritt, teilt mit, daß es Zeugen gibt, die der Polizeiversion widersprechen. Der 16jährige sei vom Polizeibeamten keineswegs zu Boden geworfen worden; der Schuß habe ihn im Davonlaufen getroffen.
Das Problem ist, daß vieles von dem, was gesagt wird, von Spekulationen abhängig ist. Ich war nicht am Tatort, ich muß mich an die Fakten halten, und die erzählen meiner Meinung nach eine eigene Geschichte. Wenn wir von einer „Plakatiererei“ ausgehen, dann hätte der Polizeibeamte diesen Sachverhalt auch in die Wahl seiner Mittel einbeziehen müssen. Wir haben es hier mit einer geringen Verletzung einer Ordnungsnorm zu tun.
Es ist nicht üblich, Plakatklebern mit gezogener Dienstwaffe zu begegnen?
Nein. Außerdem handelte es sich bei dem Beamten um jemanden, der im besonderen Maße an der eingesetzten Schußwaffe, einem 38er-Dienstrevolver, ausgebildet war und sie daher auch im Verhältnis zu anderen PolizeibeamtInnen in besonderem Maße beherrschte bzw. beherrschen mußte. Von so einem trainierten Kollegen erwartet man am wenigsten, daß er Fehler in dieser Sache begeht. Wenn der Hahn des Revolvers nicht gespannt war, war ein besonderer Kraftaufwand notwendig, um den Abzug durchzuziehen und so den Schuß auszulösen.
Die Polizeiversion ist ja, daß der Beamte seine Waffe plötzlich am Boden liegen sah, sie aufhob, sie zurück ins Holster stecken wollte und dabei nach einem Gerangel „strauchelnd“ mit einem „Greifreflex“ den Schuß auslöste.
Bei dem gebräuchlichen Einsteckholster handelt es sich um ein sogenanntes Klemmholster, aus dem der Revolver nicht ohne weiteres verlorengehen kann. Bei diesem Holster wurde bislang ein versehentlicher Verlust der Waffe noch nicht bekannt. Außerdem ist in Betracht zu ziehen, daß der Schußkanal beim Opfer von unten nach oben und von links nach rechts verlief. Der Polizeibeamte wollte nach seinen Angaben mit der rechten Hand die Pistole zum linken Hosenbund führen. Normalerweise ist hierbei die Mündung der Waffe nach unten gerichtet, das ist eine eintrainierte Regel. Auch ist es den PolizeibeamtInnen in Fleisch und Blut übergegangen, daß der Zeigefinger immer längs des Abzugs – also neben dem Abzug – liegt, wenn eine Schußabgabe nicht beabsichtigt ist.
Es sind einfach viele Fakten, die der offiziellen Sachverhaltschilderung widersprechen. Wir halten das Vorgehen der Polizeiführung für sehr ungeschickt, denn ihre Äußerungen zum Ablauf des Geschehens sind mehr Vermutungen darüber, „wie es hätte sein können“, und mit einem schwer nachvollziehbaren Tatablauf versehen – um nicht den Eindruck entstehen zu lassen, daß in diesem Hergang Fehler möglich waren. Eine Polizeiführung, die jedoch, trotz der verständniswürdigen Intentionen, von vorneherein von der Unfehlbarkeit ihrer PolizeibeamtInnen ausgeht, macht es allen Seiten schwer. Auch wir glauben nicht, daß der Polizeibeamte den Kurden absichtlich erschossen hat. Aber wir PolizistInnen sind Menschen, die Fehler machen können.
Sehen Sie in dem Polizeieinsatz und seinen tödlichen Folgen auch eine Konsequenz der Kurdenpolitik der Bundesrepublik?
Ich denke schon, daß sich die Kriminalisierung der Kurden – beispielsweise durch das Verbot der kurdischen Verbände – auch in den Denkprozessen der Polizeibeamten niedergeschlagen hat. An sich ist das Plakatieren ja ein normaler Vorgang des politischen Lebens. Mit dem Verbot entwickelt sich da schon ein anderer Sachverhalt, der solche Dynamiken zuläßt. Außerdem muß betont werden, daß das Training der Polizei an Schußwaffen weiterhin sehr einseitig ist. Es ist letztendlich auf eine Schußabgabe gerichtet. Andere Konfliktbewältigungsmöglichkeiten werden in das Training zuwenig miteinbezogen. Interview: Hans-Hermann Kotte
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