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Kinder in den Knast?

■ Internationale Tagung über Jugendkriminalität im August in Bremen / Betten gesucht

Auf den Straßen von Rio de Janeiro leben eine halbe Million obdachlose Kinder von Raub und Diebstahl; In den USA warten Jugendliche in den Todeszellen auf ihre Hinrichtung; In Deutschland werden Kinder immer häufiger als Drogenkuriere eingesetzt, weil sie noch nicht strafmündig sind. Die Justiz sieht sich großen Problemen gegenüber: Wie soll sie mit den jugendlichen Straftätern umgehen? Was ist mit den Menschenrechten auf ein lebenswertes Leben und einen fairen Prozeß? Und gilt die europäische Sichtweise der Menschenrechte überall auf der Welt? Mit diesen Fragen will sich der 14. Kongreß der „Internationalen Vereinigung der Jugend- und Vormundschaftsrichter“ (AIMJF) beschäftigen, der vom 28.August bis zum 2.September in Bremen stattfinden soll. Thema der hochkarätig besetzten Veranstaltung: „Junge Rechtsbrecher und ihre Familien – Die Frage der Menschenrechte“.

Die Veranstalter von der „Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfe“ erwarten etwa 400 JugendrichterInnen, PädagogInnen und SozialpolitikerInnen aus aller Welt. Denn es geht um Probleme, die untrennbar mit der politischen und sozialen Situation in den jeweiligen Ländern verbunden sind. „Unsere Konzepte von Jugendkriminalität versagen, wenn Kinder nur durch Straftaten ihr Überleben sichern können“, betonte Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen und Organisator der Tagung. Nach seinen Vorstellungen soll die Veranstaltung „kein großes juristisches Seminar“ werden, sondern einen echten Dialog zwischen JuristInnen aus aller Welt vermitteln. Eingeladen sind auch zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, die die Rechte der Kinder einklagen wollen. Andererseits hat sich bereits eine vierzigköpfige Delegation aus der Volksrepublik China angesagt und auf ihr Rederecht gepocht – wohl wissend, daß China mit seinen drakonischen Strafen als Menschenrechtsverletzer am Pranger stehen wird.

Doch auch die deutschen TeilnehmerInnen werden sich nicht mit ruhigem Gewissen zurücklehnen können. Denn in diesem unseren Land gibt es laut Pfeiffer sinkende Kriminalitätsraten bei Menschen über 25 Jahren, während die Kriminalität bei jungen Menschen wächst. „Immer mehr junge Menschen gleiten in die Sozialhilfe ab, während immer weniger Menschen immer reicher werden. Und immer mehr junge Menschen sind nicht mehr bereit, diese wachsende Diskrepanz einfach hinzunehmen,“ sagt Pfeiffer. Früher hätten Gewerkschaften und linke Parteien dieses Potential aufgefangen – heute reagierten viele Jugendliche gemäß der gesamtgesellschaftlichen Devise „Nimmst Du was, dann hast Du was; Hast Du was, dann bist Du was.“

Auch beim Thema Menschenrechte werden sich die Deutschen unangenehme Fragen gefallen lassen müssen: „Die Bilder von den jungen Gewalttätern aus Rostock oder Magdeburg sind um die Welt gegangen“, es würden bereits Schülerreisen nach Deutschland abgesagt, weil sich die Jugendlichen nicht sicher fühlten. Deutsche RichterInnen sollen die Chance kriegen, sich aus erster Hand über die Zustände in den Ländern zu informieren, mit deren Kindern und Jugendlichen sie zunehmend konfrontiert sind: Flüchtlinge und MigrantInnen aus aller Welt, vor allem aus Osteuropa.

Nicht zuletzt sollen die TeilnehmerInnen voneinander lernen. Die Organisatoren erwarten spannende Debatten etwa zum Thema Drogen zwischen einem chinesischen Richter, der auf Drogenhandel die Todesstrafe verhängen kann und seinem niederländischen Kollegen, der das gleiche Delikt ungesühnt läßt. „Alles, was sich im Jugendstrafrecht in den letzten Jahren in Deutschland getan hat, kommt aus dem Ausland. Vielleicht können wir jetzt ein paar Ideen weitergeben“, hofft Christian Pfeiffer. Für Justizsenator Henning Scherf, neben seiner Bundeskollegin Leutheusser-Schnarrenberger Schirmherr der Veranstaltung, ist die Aufbauhilfe von Bremer RichterInnen in den neuen Ländern ein Paradebeispiel, wie es gehen könnte. „Für mich ist das echte Friedensarbeit.“

bpo

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