: Bei Hitze Dienstmützenverzicht
■ Schüler bekommen Hitzefrei / Für Postboten gibt es einen Teebeutel zur Kühlung / Auf dem Wachturm darf die Mütze abgelegt werden / Bei Schultheiß steigt der Umsatz
Zwei Wochen vor Beginn der Sommerferien ist für die meisten SchülerInnen der Unterricht schon gelaufen. Die Ursache heißt Alfred, stammt aus Skandinavien und ist das, was die Berufswetterfrösche gewöhnlich als Dauerhoch bezeichnen.
Bei durchschnittlichen Tagestemperaturen zwischen 27 und 32 Grad im Schatten haben in diesen Tagen die meisten Grund-, Haupt- und Realschüler bis zur zehnten Klasse Hitzefrei. Sind die SchülerInnen vom Hochdruckwetterlagen-Analphabetismus bedroht? Rektoren sind gehalten, die Temperaturen zu überwachen und ihre Schüler von der Unterrichtspflicht zu entbinden, wenn die Temperaturen um 10 Uhr bereits 24 Grad Celsius betragen. Dann ist Schluß ab der vierten Stunde, also ab 11.30 Uhr. Dabei dürfen mißgünstige Rektoren freilich nicht in den schattigen Umkleideräumen der Turnhalle oder im Keller messen, wo es auch an Hundstagen noch erträglich kühl sein dürfte. Sie müssen schon ein repräsentatives Plätzchen aussuchen, teilte der Pressesprecher der Senatsverwaltung mit. Ist es um 11 Uhr 25 Grad warm, dürfen die Schüler ab der fünften Unterrichtsstunde gehen. Im Ermessen der Rektoren liegt auch, die Unterrichtseinheit von 45 auf 30 Minuten zu verkürzen, wenn es zu heiß ist. Die Lehrer haben dann natürlich auch frei und widmen sich dann selbstverständlich der Unterrichtsplanung für den nächsten Tag.
Dagegen nehmen sich die Maßnahmen zur Humanisierung der Arbeitswelt für Angestellte im öffentlichen Dienst geradezu schäbig aus: Wie der Pressesprecher der Oberpostdirektion mitteilte, stelle man den Postangestellten im Außendienst Tee zur Verfügung. Allerdings erst, wenn die morgendliche Temperatur um 10 Uhr 27 Grad erreicht. Da dies gewöhnlich nur in Abu Dhabi vorkommt, entbindet das die Oberpostdirektion von der Peinlichkeit, ihren Briefträgern einen Teebeutel für unterwegs mitzugeben. Dafür, so die Oberpostdirektion weiter, seien die Postzusteller von der Dienstmützenpflicht entbunden und können selbige auf dem Gepäckträger mitführen, auf daß der laue Wind ihnen Erfrischung zufächle.
Bei der Polizei gibt es keine genauen Richtlinien. Ist es heiß, wird angeordnet, daß die uniformierten Einsatzkräfte ihre polizeilichen Maßnahmen auch mit abgesetzter Dunstkiepe wahrnehmen dürfen. Kaltgetränke gibt es auch, aber unter welchen Voraussetzungen, konnte man nicht genau sagen.
Auch die Gefangenenbetreuung vom Wachturm aus erfordert bei entsprechender Hitze Berufsmilderungsmaßnahmen. Bei der Justiz richtet man sich dabei ganz nach dem subjektiven Empfinden. Wie Anstaltsleiter Lange-Lehngut mitteilte, brauchen die Gefängniswärter keine Krawatte und kein Jackett zu tragen. Außerdem werde auf Wunsch der Bediensteten der Dienstturnus auf den Wachtürmen verkürzt. Zudem gibt es gekühlten Tee. Und während man die Omnibusfahrer an zentralen Verkehrsknotenpunkten mit gekühlten Getränken aus dem Kühlbehälter erquickt, greift unter der Zivilbevölkerung das Verlangen nach Gerstenkaltschale um sich, und die Stehbierbuden feiern sommerlichen Konsum. Frau Wegener von der Schultheissbrauerei: „Alfred hat sich positiv auf den Bierumsatz ausgewirkt.“ Peter Lerch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen