Ein Holocaust-Museum ist überflüssig

■ Die Rolle des ständigen Mahners leid: Mordechay Lewy, israelischer Generalkonsul in Berlin, zur deutschen Gedenkkultur / Wozu ein Holocaust-Museum, wenn die authentischen Orte überall noch ...

Im Oktober 1991, fast 50 Jahre nach der Wannsee-Konferenz, eröffnete Israel in Berlin das erste Generalkonsulat in Deutschland. Mordechay Lewy verließ Ende Juni nach dreijähriger Amtszeit Berlin, um Botschafter in Südostasien zu werden.

taz: Was war Ihr schönstes Erlebnis in Deutschland?

Mordechay Lewy: Dazu fällt mir auf Anhieb nichts ein.

Sie haben bis 1963 in Berlin gelebt, genau in der Wohnung, in die später die Kommune I einzog.

Ja (lacht), und die Wohnung wollte ich später besuchen, aber leider war das Haus abgerissen.

Nur das Haus? Was fehlt noch?

Die 60er Jahre, das war die Zeit des großen Philosemitismus in Deutschland. In der Schule wurde ich besonders gut behandelt, ich hatte das Gefühl, Juden werden mit Samthandschuhen angefaßt.

Natürlich weiß ich heute, daß die Wirklichkeit ganz anders aussah, daß diese Aufmerksamkeit nichts als Befangenheit war. Aber wenn ein Jude zwischen Antisemitismus und Philosemitismus wählen muß, ist die Entscheidung einfach.

...und gibt es heute noch was zu wählen?

Nun, befangen sind die Älteren immer noch. Das ist ganz normal. Das Problem sind für mich die jüngeren Menschen unter 40, die von sich behaupten, sie wären unbefangen gegenüber Juden. Das sind sie nämlich nicht, sondern sie sind indifferent. Und zwar nicht nur gegenüber Israel oder dem Judentum, sondern der ganzen nationalsozialistischen Vergangenheit gegenüber. Diese Indifferenz trifft mit der Entwicklung eines deutschen Nationalbewußtseins zusammen.

Im Prinzip ist das ja nichts Verwerfliches und nach der Einigung geradezu ein zwangsläufiger Prozeß. Was mich stört, ist der Eklektizismus, Weimar wird angenommen, Buchenwald nicht. Ein deutsches Nationalbewußtsein aber, daß die Verbrechen ausblendet, wäre ein unvollständiges Bewußtsein darüber, was deutsch ist. Denn diese Indifferenz führt zu einer Schlußstrichmentalität und zu einer bequemen Neubewertung der deutschen Geschichte.

Jüngstes Beispiel dafür ist doch der Streit um die Verabschiedung der Alliierten.

Ja, meiner Ansicht nach hätten die Russen unbedingt gemeinsam mit den Westalliierten verabschiedet werden müssen. Auch hier wird eklektizistisch vorgegangen. Der Kalte Krieg wird zum wichtigeren Ereignis als die Niederwerfung des Nazireiches. Die Befreiung vom Faschimus durch die Rote Armee wird zur historischen Fußnote gemacht. Auch das ist eine Schlußstrichmentalität.

...und sie führt ganz aktuell zur Ausgrenzung von Minderheiten.

Der Denkprozeß, sich zu überlegen, was deutsch ist und was nicht, bedeutet immer Abgrenzung. Europa ist kein Eintopf, man kann sehr wohl national denken, ohne nationalistisch zu sein. Aber Deutschland hat noch keine Tradition mit der Herausbildung eines maßvollen Nationalbewußtseins. Da gibt es viele häßliche Begleiterscheinungen.

Meinen Sie die damit die Hatz auf Ausländer?

Ja, unbedingt! Mit den Gewalttätigkeiten wurde in Deutschland eindeutig die Schamgrenze überschritten. Etwas anderes ist allerdings die Ablehnung von Asylbewerbern. Die findet in ganz Europa statt. Die neue Völkerwanderung überfordert alle. Trotz der schlimmen Vorfälle würde ich aber Deutschland nie als ein Land bezeichnen, in dem der Rassismus das zentrale Problem ist.

Im letzten Jahr gab es etwa 20 Friedhofsschändungen. Ist das kein antisemitisches Revival?

Es gab 1993 sogar viel mehr Friedhofsschändungen als veröffentlicht wurden. Es gab sie aber auch Anfang der sechziger Jahre. Das Problem in Deutschland ist doch, daß außer in den Opferfamilien die Naziverfolgung keine intime Erfahrung ist. Die Impulse, sich mit der Verfolgung und dem Holocaust auseinanderzusetzen, müssen daher immer von außen kommen. Durch Schulunterricht, durch Filme wie „Schindlers Liste“ oder durch Gedenktage und Gedenkorte.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Kein Jude wird heute den Einfall haben, den jungen Leuten eine Schuld für Taten zuzuweisen, die andere Deutsche vor 50 oder 60 Jahren verübten. Aber wir erwarten sehr wohl auch von den nächsten Generationen Wissen und Sensibilität. Das Denken, einmal muß Schluß mit der Vergangenheit sein, hilft auch Deutschland nicht in dem Prozeß, herauszufinden, was es wirklich ist. Man muß um der eigenen Zukunft willen, mit der Erinnerung leben.

Sind die vielen Denkzeichen, die heute zur Erinnerung an die Ermordung der Juden aufgestellt werden, nicht ein Beweis gegen die Schlußstrichmentalität? 50 Jahre nach dem Holocaust soll in Berlin sogar eine zentrale Gedenkstätte gebaut werden.

Die Gedenkstättenkultur ist in der Tat etwas sehr Positives. Aber Gedenkstätten müssen immer einen regionalen Bezug haben. Denn der Holocaust begann ja vor der Haustür. Ich bin deshalb gegen das Denkmal oder Gedenkmuseum in Berlin-Mitte, das demnächst errichtet werden soll. Denn das bedeutet eine Entlastung. Sowohl eine geographische als auch eine finanzielle. Ich befürchte, daß das zentrale Mahnmal die Gedenkstätte Sachsenhausen marginalisieren wird. Zum Beispiel durch Zuwendungskürzungen. Ein Holocaust-Museum in Berlin ist völlig überflüssig, weil authentische Orte wie Sachsenhausen, Buchenwald, Ravensbrück vorhanden sind. Wozu ein Museum, wenn die Originale überall noch stehen. Sie und nicht ein artifizielles Mahnmal, müssen unterstützt werden, dorthin sollten die Politiker ihre Gäste führen, und nicht zu einer künstlichen Gedenkmeile.

Was war Ihr unangenehmstes Erlebnis?

Zu den betrüblichsten Erfahrungen gehört sicher, daß die Deutschen von den Juden ständig eine Entlastung wollen. Ein Beispiel: Die im Deutschen Historischen Museum geplante Ausstellung der Bilder des Hitler-Fotografen Hoffmann hätte der Museumsdirektor aus eigenem Antrieb absagen müssen, und nicht erst nach der Intervention des Berliner Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde. Den Juden sollte nicht die Rolle des ständigen Mahners zugespielt werden. Die Wachsamkeit und Sensibilität müßte doch gerade ein deutsches Bedürfnis sein. Interview: Anita Kugler