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Im Fußballhimmel

■ Im Kunstforum: Fotos der legendären Nationalmannschaft von 1954 und Werders „Texaself“

In den 60ern eröffneten sie Boutiquen, in den 70ern kurvten sie in knallroten Sportwagen rum, in den 80ern waren ihre Millionen endgültig in Bauherrnmodellen versickert und in den 90er - Zeitalter der Postmoderne und des Crossover - kommt der Fußball in die Galerie.

Im Kunstforum am Markt hängen seit Montag „Die Helden von Bern“. Die Fotoausstellung mit dem pathetischen Titel ist zielgerecht getimed auf den 40. Jahrestag der deutschen Weltmeisterschaft vom 4. Juli 1954, die laufenden Spiele - und einen Trend.

Marc Trautmann, ein junger Fotograf aus Frankfurt und Assistent bei Annie Leibovitz, zeichnet verantwortlich für die inszenierten Portraitfotos. In den alten Trikots „Deutscher Fußball Bund“ stecken die Helden von damals, 40 Jahre später eine grauhaarige Altherrenmannschaft: Fritz Walter, Ottmar Walter, Max Morlock, Josef Pospipal, Hans Schäfer, Horst Eckel, und Werner Liebrich. In Mannschaftformation gehängt, zeigen unter den 11 Porträtbildern 3 Rahmen einen reinen Wolkenhimmel. Visuelle Gedenkminute für die Verstorbenen,- sie befinden sich im Fußballerhimmel.

Neben der Nationalelf, die mit ihrem 3:2 Sieg über Ungarn für die Bundesrepublik die Ära des „Jetzt sind wir wieder wer!„ einläutete, hat man in Bremen die lokalen Stars gesetzt, SV Werder Legenden.

Im Foto: Ilic Dragomir, langjähriger, erfolgreicher Torwart. 1954 bei der Siegerehrung schön wie ein Latin Lover und 40 Jahre später, ebenso stattlich in seiner Lotto-und-Totto-Annahmestelle in der Neue Vahr.

Barbara Claassen-Schmal hat in Zusammenarbeit mit dem Fan-Projekt in den Archiven gewühlt und Dokumentarfotos und andere Erinnerungsstücke der Bremer Kicker ausgegraben. Die „Texas-Elf“ der 50er Jahre steht für den Übergang der Amateursportler ins Profilager.

Aber natürlich verirrt sich so noch kein Werder–Fan in das Kunstforum am Markt. Renè Knapp-Kluge, vom Fan-Projekt:“ Man kann hier nicht die Leute erwarten, die zur Autogrammstunde von Mario Basler auf der Matte stünden.“ Eine zutreffende Aussage, die sich schon durch eine oberflächliche Erhebung unter den Ausstellungsbesuchern bestätigen ließ.

„Der Ball ist rund und das Spiel dauert 90 Minuten.“ Sepp Herbergers Weisheiten verliert ihre Gültigkeit nie. Und der Trend der hier beobachtet werden kann, läuft auch schon länger als die WM. Seit Jahren ist es wieder schick sich zu seinen Jugendsünden zu bekennnen: Bravo-Poster, Schlaghosen, Glam-Rock und jegliche Art von Fantum. Selbstbekenntnisse aus dem linksintellektuellen Ghetto geben Feuilletonisten in der Midlifekrises von Manchester bis zur Frankfurter Titanic ab. Unter dem Motto: Als wir alle noch in der Provinz lebeten und Pubertätspickel hatten , war Fußball das Größte. Aber dieser Charme des Schwärmens und die Naivität der frühen Jahre funktioniert auch nur aus der Distanz zum Objekt. Die schönsten Legenden und Anekdoten entstehen aus der Sehnsucht. Je näher man dem Spiel und dem Ball rückt, desto profaner wird das Geschäft.

Etwas von dieser Profanität färbt auch auf die Helden-Ausstellung im Kunstforum ab. Was ist eigentlich aus dem Crossover gewonnen, wenn der runde Ball in die heiligen Ausstellungshallen rollt. Weder Fans, Kicker noch Kunstprofis werden sich hier Pässe zuspielen. Oder ging es um was ganz anderes, sollte gar nicht zwischen zwei Welten vermittelt werden? Immerhin gelang es der schwarz gekleideten Vernissagebesucherin zum ersten Mal seit Jahren ihren Ehemann mitzuschleifen - in einem Ausstellungsraum lief die WM-Übertragung: Irland gegen Niederlande.

Susanne Raubold

„Die Helden von Bern“, bis 17. Juli im Kunstforum am Markt, Langenstr. 2

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