: Der König und sein Konkurrent
Bei der 81. Tour de France kämpfen Induráin und Rominger um den Thron ■ von unterwegs Ole Richards
Dies ist die Geschichte vom Bauernsohn, der auszog, ein König zu werden. Er lebte in einem baskischen Dorf namens Villava bei Pamplona. Dort schwört sein Vater heute noch, daß aus dem jungen Miguel auch ein guter Landarbeiter geworden wäre, allein, der Sohn hatte anderes im Sinn. Er setzte sich auf ein Rad, um Profi und König der Landstraßen zu werden. Dort hat Miguel Induráin nun drei Jahre lang regiert, jetzt ist sein Thron bedroht.
Thronfolger will Tony Rominger werden, das radfahrende Gegenteil des Basken. Der in Dänemark geborene Diplomatensohn nahm in seiner Schweizer Heimat eine ordentliche Banklehre auf, bevor er den Bürosessel mit einem Fahrradsattel tauschte. Ständige Niederlagen im familieninternen Duell gegen seinen Bruder ärgerten ihn derart, daß er mit ernsthaftem Training begann und im für Neuprofis biblischen Alter von 25 Jahren Berufsradfahrer wurde. Nun ist er lange gereift und scheint reif für den Thron.
Die Saison
Tony Rominger startete mit zwölf Saisonsiegen in die Tour. „Alles verlief beängstigend planmäßig“, gesteht der Schweizer nach Erfolgen bei Paris–Nizza, der Baskenland-Rundfahrt und der „Vuelta“. Mit besonderem Vergnügen gestaltete Rominger die Spanien- Rundfahrt in Induráins Heimat zu einer Triumph-Tour und gewann sechs Etappen.
Miguel Induráins Saisonbilanz nimmt sich dagegen eher bescheiden aus, nur drei Erfolge bei den unbedeutenden Rennen der Tour de l'Oise und der Valencia-Rundfahrt. Eine Muskelverletzung im Oberschenkel während der Baskenland-Rundfahrt im März störte den peinlich genau geplanten Saisonaufbau. Die Quittung erhielt der Dominator der letzten Jahre vor drei Wochen beim Giro d'Italia, den er in den letzten beiden Jahren ohne Höchstform und ohne Probleme gewann. Diesmal zeigten ihm mit dem Russen Berzin und dem Italiener Pantani Fahrer einer neuen Generation respektlos ihr Hinterrad. „Wir ändern unsere Pläne nicht“, trotzte Induráins sportlicher Leiter José Miguel Echavarri. Trotzdem fehlte Indurain vor einer Woche bei der spanischen Meisterschaft. Es ist unruhig geworden am Hof des Radkönigs.
Die Liebe
Der 33jährige Tony Rominger schöpft seine Kraft und die Bereitschaft zur totalen Verausgabung aus einem perfekt funktionierenden Umfeld. „Ich hatte in diesem Jahr erst ein Problem“, gesteht er, „ich konnte nicht bei der Geburt meines Sohnes dabei sein.“ Als Robin vor zwei Monaten geboren wurde, verrichtete sein Vater seinen Job gerade bei der Spanien- Rundfahrt und stellte einen Rekord für hohe Telefonrechnungen auf. Das dürfte ihn nicht weiter stören bei einem Jahresgehalt von zirka zwei Millionen Mark, die er in Monte Carlo günstig versteuert. Von dort aus nimmt er seine Familie mit, wohin es geht.
„Wenn ich arbeite, muß ich mich konzentrieren“, begründet Miguel Induráin die Tatsache, daß seine Frau nie bei einem Radrennen gesichtet wurde. Nur vor einem Jahr erschien Marisa, die er im November 1992 geheiratet hat, am Ziel der Tour de France in Paris. Induráin baute seiner Frau in Olaz, unweit vom Bauernhof seiner Eltern, ein Haus, „das ich im Jahr ungefähr drei Monate mitbewohne“. Familie ist eher Ablenkung als Ansporn.
Die Tour
Induráins große Liebe ist die Tour, nach Olympia und Fußball-WM das drittgrößte Sportereignis der Welt. In aller Ruhe wuchs der 29jährige zum König der „großen Schleife“. Zweimal durfte er aufgeben, bevor sich Induráin als Helfer seines Landsmanns Pedro Delgado (Sieger 1988) profilierte. Seine Ergebnisse seit 1989: 176., 10., dreimal Erster. Ein erneuter Triumph würde den Spanier endgültig zu Anquetil, Mercks und Hinault aufrücken lassen, die die Tour fünfmal gewannen. 33 Tage fuhr Induráin bei der Tour bisher im gelben Trikot. „Diesmal reicht mir ein Tag – der letzte!“, zeigt sich der mit fast vier Millionen Jahresgehalt bestbezahlte Radfahrer der Welt kampfeslustig. „Induráin kann nur verlieren“, glaubt Tony Rominger, „schon ein zweiter Platz ist eine Niederlage für ihn. Mir reicht ein Platz auf dem Podium.“ Damit stapelt der Schweizer tief. Seine Feindschaft mit der Tour ist beendet. Ein 63. (1988) und ein 57. Platz (1990) sind ihm als Schmach in Erinnerung geblieben. Vor Schreck fehlte er danach zweimal, kehrte erst 1993 mit Platz zwei, dem Bergtrikot und drei Etappensiegen spektakulär zurück. „Es liegt am Heuschnupfen, den ich nicht mehr habe“, lüftet Rominger das Geheimnis. Jahrelang fuhr er im April und Mai blendend, um danach vom Pollenflug geplagt nur noch hinterherzurollen. „Seit zwei Jahren habe ich den Schnupfen im Griff.“
Die Strecke
Die Tour 1994 ist so konzipiert, daß sie wirklich erst ganz am Schluß entschieden wird. Induráins Vorteile liegen im ersten Teil der 3.978 km. Zunächst beim Prolog in Lille, bei dem der Spanier als Zweiter hinter dem Briten Chris Boardman vier Sekunden Vorsprung gegenüber Rominger herausstrampelte. Zweitens beim Mannschaftszeitfahren am Dienstag, bei dem das Banesto-Team (Induráin) bis zu zwei Minuten gegenüber Mapei-Clas (Rominger) herausfahren könnte (nach Redaktionsschluß). Induráins dritter Vorteil ist das Einzelzeitfahren am 11. Juli (65 km) nach Bergerac.
Grundlage von Induráins Macht der letzten Jahren – seine majestätische Stärke im Kampf gegen die Uhr. Achtmal hat er Zeitfahren gewonnen. Danach kommen die Berge und mit ihnen Romingers Aufholjagd. Zwei Bergankünfte in den Pyrenäen (Lourdes/Luz-Ardiden) und vier hintereinander in den Alpen (u.a. Alpe d'Huez) versprechen die Antwort auf die Frage, ob „König Miguel“ wirklich vom Thron geschubst wird.
Von unerwarteten Krisen, taktischen Schwächen, Unfällen abgesehen, soll die Entscheidung dann erst zwei Tage vor Tour-Ende fallen. Beim Bergzeitfahren nach Avoriaz sind 1.400 Meter Höhendifferenz zu überstehen. Wer oben als erster ankommt, wird wohl auf die anderen herabblicken dürfen.
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