: Der lange Marsch zum Markt
Trotz der politischen Gratwanderung spielen für deutsche Unternehmen die Menschenrechte in China eine untergeordnete Rolle / Statt dessen Wandel durch Annäherung angestrebt ■ Von Erwin Single
Berlin (taz) – In den Ohren aller Investoren klingt ein neues griffiges Schlagwort: China, ein Land mit einem 1,2 Milliarden Menschen umfassenden Markt. Derart gigantische Potentiale ziehen die Kapitalisten aller Länder geradezu magisch an, und nach langem Zögern haben sich auch die deutschen Firmen in den Treck der Geschäftsleute eingereiht, die dem Lockruf des letzten Eldorados der Weltwirtschaft folgen. Während des Besuchs des chinesischen Ministerpräsidenten in Bonn standen darum gestern wieder die Firmenvertreter Spalier – schließlich galt es, Verträge über Wirtschaftsprojekte für 1,6 Milliarden Mark und Absichtserklärungen über vier Milliarden Mark zu unterzeichnen.
So darf der Elektromulti Siemens in Hangfeng als Partner der Chinesen ein Kohlekraftwerk für eine Milliarde Mark errichten, die Schloemann-Siemag AG, der Heinrich Weiss, der Vorsitzende des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft vorsteht, erhält den Zuschlag für ein Kaltwalzwerk in Baoshan. BASF, Telekom, ABB, KHD, BMW, Liebherr, der Daimler-Konzern und die Lufthansa können sich ebenfalls Hoffnungen auf erkleckliche Beträge im China-Geschäft machen. Und der Staat greift, wie schon bei den Verträgen anläßlich Kohls China- Besuch, den Unternehmen kräftig unter die Arme: Der Rahmen für Hermes-gedeckte Kredite wurde um 350 Millionen auf 500 Millionen Mark erhöht.
Ob der Zahlenspielereien gerieten bei der Li-Visite die Menschenrechte, der Umgang mit Andersdenkenden, mit unabhängigen Gewerkschaften fast in Vergessenheit. So durfte Li die deutsche China-Politik lobend hervorheben, die bewußt auf sonst übliche „politische Beschränkungen“ verzichte. Und in der offiziellen Erklärung der Bundesregierung wurde die heikle Frage nur am Rande gestreift, die Gespräche hierzu würden „vertrauensvoll und vertraulich“ fortgesetzt. Schon vor dem Gespräch Kohls mit Li hatte Kanzleramtschef Friedrich Bohl die Marschrichtung festgelegt: Mit kleinen Schritten sei mehr zu erreichen als mit lauten Anklagen.
Wer nur anklagt, der verspielt seinen Einfluß, so lautet auch der diplomatische Tenor aus den Chefetagen. Wenn man auf die Einhaltung der Menschenrechte hinwirken wolle, so Heinrich Weiss, sei es gut, Kontakt zu halten. Die Chinesen, so der frühere BDI-Präsident im Deutschlandfunk, sähen die Menschenrechte anders als wir. Wenn dort sofort volle demokratische Rechte gewährt würden, bestehe zudem die Gefahr, daß ein Chaos wie in Rußland entstünde. Auch in den USA habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß die wachsende internationale Wirtschaftskooperation dazu beitrage, Chinas Öffnung zu unterstützen und es mit internationalen Standards vertraut zu machen, heißt es im Ostausschuß. Für Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) ist der Einfluß auf die Menschenrechtsfrage nicht zu unterschätzen: Handel und Wirtschaftsreformen in China könnten „in eine gesellschaftliche Situation münden, in der demokratisches Handeln nicht mehr zu verhindern“ sei.
Oder auch nicht. Freilich lassen sich Menschenrechte, das haben Boykotte und Embargos immer wieder gezeigt, durch wirtschaftliche Sanktionen nicht erzwingen. Doch bemerkenswert ist, was der Kanzler, Herr Rexrodt und Herr Weiss alles nicht zur Lage der Menschenrechte in China sagen. Im Umgang mit Dissidenten wird China nur zu kosmetischen Korrekturen bereit sein, in den unzähligen Arbeitslagern werden weiter Exportwaren und Zulieferteile produziert, in der Wirtschaft jedes gewerkschaftliche Engagement im Keim erstickt. Einfach blind darauf zu vertrauen, daß eine wirtschaftliche Liberalisierung zu einer politischen Öffnung führen wird, ist da zu wenig.
Und es kann auch kein Freibrief für die Unternehmen sein, wie bei Rüstungsexporten die Verantwortung an die Politik abzuschieben, die für die Rahmenbedingungen zu sorgen hat. Zwar werden in den Vorstandsetagen der Industrie die Menschenrechtsverletzungen in China ausdrücklich bedauert, aber ein Grund für einen Rückzug ist das allemal nicht. Immerhin, beim Stuttgarter Daimler-Konzern hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, wirtschaftliches Engagement dort zu verstärken, wo sich damit die Lebensbedingungen der Menschen in China verbessern lassen – also im Aufbau von Kommunikation, Verkehrssystemen und Infrastruktureinrichtungen. Doch wirtschaftliche Interessen stehen im Vordergrund: „China ist einer der wichtigsten Zukunftsmärkte überhaupt“, so Daimler-Chef Edzard Reuter, „durch das breite Leistungsspektrum des Konzerns kann Daimler-Benz Wettbewerbsvorteile in China für sich verbuchen“. Ganz diplomatisch und geradezu typisch für die Haltung der deutschen Wirtschaft zeigt man sich bei Volkswagen, erster und größter deutscher Investor in China: Es gebe eine klare Geschäftsgrundlage der VW-Gruppe, sich nicht in die Politik eines Landes einzumischen; dies gelte in vielen Ländern, in denen Werte und Normen hinsichtlich der Menschenrechte nicht dem Standard der Bundesrepublik entsprechen. Statt dessen will man eine „positive und konstruktive Rolle sowohl im geschäftlichen als auch im sozialen Bereich spielen“ – unter anderem mit Managementmethoden, „Human Ressources“ und einem Verhältnis zur Arbeitnehmerschaft, die von Deutschland in das Gastland transferiert werden.
Isolation sei keine Lösung; „die vielen internationalen Joint-ventures hatten und haben einen positiven Einfluß auf die chinesische Gesellschaft.“
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