: Mit Warnstreiks gegen Senats-Rotstift
■ Widerstand gegen Sparpläne des Senats: Morgen Warnstreiks in 396 Kitas / FDP kündigt Klage gegen Haushalt an
Bevor sich der Senat über den Sparhaushalt 1995/96 am Montag kommender Woche einigen wird, formiert sich bereits der Widerstand. Die GEW hat für morgen früh ErzieherInnen und Eltern von 396 Kindertagesstätten in den Bezirken Hohenschönhausen, Kreuzberg, Lichtenberg, Mitte, Schöneberg, Wedding und Wilmersdorf zu Warnstreiks aufgerufen. Damit reagiert die Gewerkschaft auf die neuesten Sparideen des Senats.
Um das Finanzloch von 9,5 Milliarden Mark zu stopfen, das bislang im Doppelhaushalt 1995/96 klafft, sollen auch Lehrer und Kindertagesstätten herhalten. Bei den Kitas soll die Gruppengröße von derzeit 15 bis 18 Kinder auf 22 Kinder erhöht werden. Zusätzlich soll die Zahl der ErzieherInnen verringert werden. Wo im Moment rechnerisch noch anderthalb Erzieherinnen eine Gruppe betreuen, sollen es nach den aus der CDU kommenden Sparplänen nur noch eineinviertel sein.
„Wenn der Senat seine Pläne wahrmacht, dann wird es“, so GEW-Chef Erhard Laube, „zu einem Flächenbrand in den Kitas kommen.“ Es ginge nicht, daß der Senat bei solchen Beschlüssen statt des Wohles der Kinder nur die Finanzen im Auge habe. Schon heute sei abzusehen, daß die notwendigen 16.000 zusätzlichen Plätze 1996 – ab dann hat jedes Kind Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz – nicht zur Verfügung stehen werden.
Die vorgesehenen Einsparungen werden auch von der Senatsverwaltung für Jugend und Familie abgelehnt. Sprecher Thorsten Schilling sagte, ein solcher Sparvorschlag sei ihm nicht bekannt und wäre fachlich nicht korrekt. Er sei sich sicher, daß die SPD-Fraktion dem nicht zustimmen werde. Die Finanzverwaltung wollte keine Stellungnahme abgeben.
Auch der Landeselternausschuß Berlin protestierte heftig gegen die Sparvorschläge des Senats. Eltern und Kinder würden als „Melkkuh“ für Sparmaßnahmen mißbraucht. Aus Kitas würden „Aufbewahrungsbatterien“.
Bekanntgeworden ist auch, daß im Schulbereich rund 500 Lehrerstellen durch die ersatzlose Streichung der Ermäßigungsstunden eingespart werden sollen. GEW- Chef Laube zeigte sich gestern aber zuversichtlich. Es werde bei den Lehrern zu keinen weiteren personellen Einsparungen kommen, weil dies das Abgeordnetenhaus im März beschlossen hatte.
Die FDP drohte gestern gegen den Doppelhaushalt 1995/96 Klage beim Verfassungsgericht an. Der haushaltspolitische Sprecher der Fraktion, Jürgen Biederbick, begründete diesen Schritt damit, daß der Senat dem Parlament seine wichtigste Aufgabe praktisch entziehe – die Kontrolle des Landesetats.
Biederbicks Informationen nach werden für beide Haushaltsjahre sogenannte pauschale Minderausgaben in Höhe von zwei Milliarden Mark geplant. Die Krux der „Minderausgaben“: Der Finanzsenator wird erst genau sagen, wo diese Einsparungen vorgenommen werden, wenn das Parlament den Haushalt längst verabschiedet hat. „Damit wird für Bereiche wie die öffentliche Verwaltung, die Hochschulen, Theater und freie Gruppen die totale Unsicherheit verfügt – der ganze Haushaltsplan ist nichts mehr wert“, sagte gestern der Oppositionspolitiker. Auch die Höhe neuer Kredite, die für 1995 ursprünglich 4,8 Milliarden Mark betragen sollten und die der Senat nach bisherigen Informationen auf etwa sieben Milliarden Mark erhöhen will, hält Biederbick verfassungsrechtlich für bedenklich, weil sie die Investitionssumme des Landes überschreitet.
Nach der vor kurzem geänderten Landesverfassung ist für eine Klage die Zustimmung eines Viertels der Abgeordneten notwendig. Die 64 Stimmen der Opposition aus FDP, Bündnis 90/Die Grünen und PDS wären ausreichend. Grüne wie PDS sagten auf Anfrage, daß sie eine Klage der FDP unterstützen werden. „Selbstverständlich“, meinte Biederbicks Kollege von Bündnis 90, Arnold Krause. Er forderte Abgeordnete von CDU und SPD auf, ebenfalls gegen die Aushebelung des Budgetrechts zu protestieren. Der Finanzexperte der PDS, Dieter Klein, meinte, „pauschale Minderausgaben in dieser Höhe sind rechtlich nicht zu vertreten“. Im Unterschied zur FDP seien seine Fraktion und Bündnis 90/Die Grünen aber der Meinung, daß die Nettoneuverschuldung erhöht werden dürfe. Eine Kreditaufnahme sei besser als etwa die Schließung von Kultureinrichtungen oder Hochschulen. Pantel/Wildt
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