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Black & white – Geschichten aus dem neuen Südafrika Von Bartl Grill

Hitzewelle in Deutschland? Ihr Glücklichen! Hier am Kap ist die Eiszeit ausgebrochen. Minus zehn Grad zeigte das Barometer letzte Nacht, und beinahe mußte diese Kolumne scheitern, weil der Computer kälter als der Kühlschrank und die Tastatur nur mit Handschuhen zu betätigen war. Aber wer nimmt schon Handschuhe mit nach Südafrika?

Die Leutchen am Kap sind zwar kalte Winter gewohnt, aber so klirrend wie diesmal kommt er seit Olims Zeiten nicht mehr daher. In Bloemfontein blieb sogar der Schnee liegen. Und als hier, im schattigen Tal von Orange Grove, die Flocken vom Himmel schwebten, da stand die kleine Happiness im Garten und machte große Augen. Üüüh, schrie sie, und iih. Was ist das? Zuckerwatte? Seifenschaum? Haare vom weißen Hund? Die Kurze – sie ist vier – hatte noch nicht mal ein Wort für das Naturschauspiel. Sie fragte Gogo, die Großmutter. Die kramte auch erst mal im Xhosa- Wortschatz herum, ehe ihr die rechte Vokabel einfiel: Ikhephu, Schnee. Mangels Lexikon müssen wir uns in diesem Fall auf ihre etymologischen Angaben verlassen.

Alle reden vom Wetter. Oben am Limpopo ist es angeblich so trocken, daß die Bauern schon wieder eine Dürre fürchten. Am Kap unten stürmt es, und die Captonians putzen Pinguine, die Opfer der Ölpest. Es ist schon makaber, wie sich die tierschützende Schickeria um das liebe Federvieh sorgt, während Tausende von Schwarzen, deren Hütten von den Wassermassen weggeschwemmt wurden, hilflos im Regen stehen. Sturm im Süden, Trockenheit im Norden, Frost in der Mitte. Aber in Europa glaubt das wieder kein Schwein. Den meisten geht es wie jener jungen Ärztin, die vorigen Sommer (also im Dezember) eine unserer Korrespondenzen attackierte. Wir hatten im Juli 93 ein saukaltes, ofenloses Klassenzimmer im Township Alexandra beschrieben. Die Frau Doktor hat das nicht vergessen. „Bibbernde Schulkinder? Väterchen Frost in Afrika? Wie können Sie nur so etwas berichten“, ereiferte sie sich. Wir wissen nicht, ob sie noch in Südafrika weilt oder sich gerade in Sylt neben den Chefredakteuren in der Sonne aalt.

Aber vielleicht sieht die Frau Doktor im Fernsehen ja Nelson Mandela in seiner drolligen Winterkluft. Der Madiba trägt momentan eine gefütterte Kappe mit Ohrenklappen, Modell Murmansk (dieser Anblick bestärkt manche Buren in der Urangst, daß der neue Präsident doch ein Kommunist ist!). Und wenn die ungläubige Ärztin noch am Baragwanath- Krankenhaus in Soweto praktizieren würde, dann wäre sie schnell von ihrer Naivität geheilt. Dort häufen sich nämlich in diesen Tagen die Lungenentzündungen, Bronchialleiden und bösen Erkältungen. Denn in den Hütten aus Blech und Pappe, den undichten Matchbox-Gevierten und zugigen Klassenzimmern herrschen Polartemperaturen. Wir dürfen da nicht jammern. Unterdessen ist der Computer aufgetaut, den Rücken wärmen die drei Flammen des Novex-Gasofens, unterm Schreibtisch knattert der Heizlüfter. Außerdem tragen wir drei Oberkleider und eine Angora-Unterhose. Neben uns dampft Tee mit Rum, draußen läuft eine gefrorene Katze vorbei. Orange Grove, 1.750 Meter über Null, höher gelegen als das Zillertal. Leise rieselt der Ikhephu. Klirr!

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