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Psychokrieg um Haiti

■ Der "Hinterhof" der USA wird zum Auffanglager für Flüchtlinge

Washington (taz) – „Unser Hinterhof“ – so lautet weiterhin die in Washington übliche Ortsbezeichnung für Mittelamerika und die Karibik. Doch was in alten Zeiten als unsicheres Terrain und potentieller Hort für Kommunisten und andere Antiamerikaner galt, findet nun auf Initiative der Clinton-Administration eine neue Rolle: Auffanglager für Flüchtlinge, die eigentlich in die USA wollen.

Nachdem allein am Montag von der US-Küstenwache über 3.000 haitianische Flüchtlinge auf offener See geborgen wurden, gab der US-Sonderbeauftragte für Haiti, William Gray, am Dienstag bekannt, daß Asylberechtigte unter den haitianischen Boat people ab sofort nicht mehr in die USA gebracht, sondern in „Schutzzonen“ in Panama untergebracht würden. Wer nach Ansicht der US-Einwanderungsbehörde keine begründete Furcht vor politischer Verfolgung nachweisen kann, wird weiterhin nach Haiti zurückgeschickt.

Die panamesische Regierung hatte sich kurz zuvor bereit erklärt, bis zu 10.000 haitianischen Flüchtlingen Aufenthalt in provisorischen Lagern zu gewähren, die nach Darstellung der Clinton-Administration vom UNHCR, dem Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen, geleitet werden sollen. Welche Gegenleistungen Panama für diesen Freundschaftsdienst am großen Nachbarn erhält, ist bislang nicht bekannt.

Weitere Flüchtlingslager sollen in Kürze auf den Turks- und Caicos Inseln, östlich von Kuba, eröffnet werden. Auf Kuba selbst haben die USA ihren Marinestützpunkt in Guantanamo Bay wieder für Boat people eröffnet. Seit mehreren Wochen werden Asylanhörungen haitianischer Flüchtlinge zudem im Hafen der jamaikanischen Hauptstadt Kingston durchgeführt.

Mit weitauf größerer Aufmerksamkeit dürften die haitianischen Machthaber in Port-au-Prince registriert haben, daß die Clinton- Administration über 2.000 US- Marines an die haitianische Küste geschickt hat. Nach offizieller Lesart der US-Regierung sollen die Soldaten bei der Durchsetzung des UNO-Wirtschaftsembargos helfen und die Sicherheit von amerikanischen Staatsbürgern auf Haiti garantieren.

Nun haben die US-Marines ihre weltweite Reputation nicht unbedingt mit der Durchsetzung von Wirtschaftssanktionen erlangt. Ihre Stationierung in Sichtweite der haitianischen Militärs ist ganz offensichtlich Bestandteil der psychologischen Kriegsführung der Regierung in Washington: Man will den Putschisten um Generalleutnant Raoul Cédras, die den demokratisch gewählten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide am 30. September 1991 gestürzt hatten, demonstrieren, daß man sich auch durch dramatisch ansteigende Flüchtlingszahlen nicht von dem neuen, härteren Kurs gegen die Militärs in Port-au-Prince abbringen läßt.

Wie viele Vertreter der haitianischen Exilgemeinde in den USA, glaubt auch Jocelyn McCalla von der „National Coalition for Haitian Refugees“, daß die jüngsten Ereignisse Teil eines Psychokriegs zwischen Washington und Port-au- Prince sind. Er sei sich sicher, erklärte McCalla, „daß die Militärs diese neue Flüchtlingswelle orchestriert haben“, um US-Präsident Clinton unter innenpolitischen Druck zu setzen – vor allem aus Bundesstaaten wie Florida, die keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnehmen wollen.

Das Kalkül der USA zielt darauf ab, durch die neuen Wirtschaftssanktionen, die nach Ansicht von Aristide-Anhängern schon im Oktober 1991 hätten in Kraft treten müssen, einen Keil zwischen die Wirtschaftselite und die Militärs in Haiti zu treiben. Sollte diese Rechnung nicht aufgehen, ist eine Militärintervention selbst nach Ansicht jener nicht mehr auszuschließen, die sie eigentlich nicht wollen: „Es scheint, als bewegten wir uns unweigerlich in diese Richtung“, erklärte ein namentlich nicht genannter General aus dem Pentagon am Dienstag im Wall Street Journal.

Nach einer Studie der mit dem Pentagon assoziierten Rand-Corporation sind angeblich 10.000 US- Soldaten nötig, um über längere Zeit die Hauptstadt Port-au- Prince unter Kontrolle zu halten. Solche abschreckenden Zahlen repräsentieren vermutlich weniger das wahre Kräfteverhältnis zwischen US- und haitianischer Armee, als vielmehr die Unlust des Pentagon, amerikanische Truppen für die Wiedereinsetzung Aristides in sein Amt bereitzustellen. Doch auch von Seiten des Weißen Hauses gibt es bislang weder Informationen über Größe, Mandat oder Zusammensetzung einer Interventionstruppe.

Auch über die Zeit nach dem Abtritt der Militärs besteht Unklarheit. Mitarbeiter der US-Administration suchen unterdessen internationale Kooperation für UNO-Truppen, die nach dem nicht näher definierten Abgang der Putschisten für eine nicht näher definierte Übergangsphase mit einem bislang nicht definierten Mandat in Haiti stationiert werden sollen. Andrea Böhm

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