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Überraschungscoup in Garching

Die Münchner Staatsregierung versucht den umstrittenen Forschungsreaktor München II noch vor den Wahlen durchzuzocken / Auftrag für Siemens schon morgen? / Kosten explodieren  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) – Im Streit um den geplanten Forschungsreaktor München II (FRM II) probt die bayerische CSU-Staatsregierung den Durchmarsch. Schon am heutigen Donnerstag soll der Haushaltsausschuß des Landtags in abschließender Sitzung über die Bauvorlage und den Generalvertrag mit dem Reaktorlieferanten Siemens entscheiden. Damit sollen offenbar noch vor Abschluß des atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens und vor den Landtagswahlen am 25. September Nägel mit Köpfen gemacht werden.

Das Vorgehen bedeutet auch einen offenen Affront gegenüber der amerikanischen Regierung. Erst im Mai hatte die Bonner US- Botschaft in einem an das Auswärtige Amt, das Bonner Forschungs- und das Umweltministerium gerichteten „Non-Paper“ daran erinnert, daß eine Versorgung des FRM II mit US-amerikanischem hochangereichertem Bombenuran nach dem 1992 verabschiedeten „Energy Policy Act“ nicht in Betracht komme. „Nach Ansicht der U.S.-Regierung“, heißt es in dem Schreiben, „würde die Entwicklung eines neuen deutschen Reaktors, der mit hochangereichertem Uran betrieben wird, die substantiellen Fortschritte bei der Umstellung der bereits in Betrieb befindlichen Forschungsreaktoren auf niedrig angereichertes [für Waffen untaugliches, Red.] Uran unterminieren.“

Mit ihrem Coup, von dem die Mitglieder des Haushaltsauschusses im Münchner Landtag am Dienstag per Tischvorlage überrascht wurden, versucht die Staatsregierung den Vertrag mit Reaktorbauer Siemens noch vor der parlamentarischen Sommerpause unter Dach und Fach zu bringen. Gleichzeitig sollen in der heutigen Sitzung des Haushaltsausschusses die Planungsmittel (Kostenpunkt: 21 Millionen) freigegeben werden. Das Landtagsplenum muß nicht mehr zustimmen.

Ganz nebenbei tritt die Kostenexplosion ein, die Gegner des Reaktors seit langem prognostizieren. 679,3 Millionen soll der 20-MW- Meiler jetzt kosten (vor zwei Jahren: 530 Millionen). Hinzu kommen „allgemeine Kostensteigerungen“ und Risiken, die sich aus gerichtlichen Auflagen und Verzögerungen ergeben.

Freimütig gesteht das Münchner Kultusministerium in der Vorlage außerdem, daß der „nach wie vor angestrebte“ Finanzierungsanteil des Bundes bisher nicht gesichert sei. „Entsprechende Verhandlungen werden zu gegebener Zeit geführt werden“, heißt es.

Die SPD-Abgeordnete Monica Lochner-Fischer schimpfte gestern, es gebe „keinerlei Notwendigkeit“ vor der Klärung der amerikanischen Bedenken und vor Abschluß des Genehmigungsverfahrens Entscheidungen zu treffen. Sollte das Projekt realisiert werden, hält sie Gesamtkosten von über eine Milliarde Mark für realistisch. Die Staatsregierung fürchte wohl neue Mehrheiten nach den Bundes- und Landtagswahlen. Die bayerische SPD lehnt den FRM II in ihrem Regierungsprogramm für die Landtagswahl ab.

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