: Tick, Trick und Track
Das Zeitalter der konformistischen Mickey Mouse in der Popmusik geht zu Ende. Nervöse Neffen wie Beck, Lou Barlow oder Chris Knox nehmen ihre Stückchen zu Hause auf. Du darfst es auch „Losercore“ nennen ■ Von Jörg Heiser
Heute nacht ist die Stadt voller Leichenhäuser, und die Toiletten laufen über, sagt Beck in „Pay No Mind“, der zweiten Singleauskopplung aus seinem Debütalbum. Die erste, „Loser“, ist mittlerweile ein richtig dicker Hit, und im Dezember/Januar wird man überall lesen: Newcomer des Jahres – Beck. Postnihilistische Frechheit siegt, Frechheit als ein anderes Wort für nothing left to lose.
Becks Songs sind keine Produkte, die „für den Markt“ konzipiert worden sind, sie sind manischer Folk, der durch den Fleischwolf gedreht wurde, zu Hause mit billigem Homerecording-Equipment aufgenommen. Keine netten, lieben Texte, aber auch nichts, was in den Charts als einfacher Verkaufsförderungs-Tabubruch funktionieren würde. In „Pay No Mind“ heißt es, daß der Rock-'n'- Roll-Sänger auf dem Pay-Cheque tanzt und die Verkaufszahlen in den fahlen Müllhimmel wachsen wie ein gigantischer Dildo, der die Sonne zertrümmert – „that's why I pay no mind, sleepin' slime, I just got signed“.
Was hier von den Talentscouts des Major-Plattenlabels Geffen (wir erinnern uns: Nirvana) gesigned wurde, ist nichts weniger als die dancefloor- und partytauglich gewordene Homerecording- Ekstase, das Vierspurgerät als Paisley Park, die Wohnzimmeraufnahme für die Hitparade, Low-Fi als Verkaufsschlager. In den nächsten Monaten werden die Talentscouts der großen Plattenfirmen, liebe Homerecording-Artists, endgültig auch die Schubladen eurer Nachtschränkchen nach verwertbarem coolem Thrill für die Charts durchsuchen.
Etwas Besseres als den Tod
Das Gestöhne der um ihre letzte Bastion fürchtenden Untergrundkämpfer im stillen Widerstand wird groß sein: Die bisher noch übriggebliebene ausbeutungsfreie Zone, das „kaputte“ Homerecording mit seiner Low-Fidelity, dem anheimelnden Rauschen und den Tonband-Störgeräuschen, dem skizzenhaft dünnen Sound, die ultimative Intimität von einsam Aufnehmendem zu einsam Hörendem, ist für die immer weiter expandierenden Vermarktungsbemühungen entdeckt. Aber unter übergeordneten Bedingungen des Marktes ein Refugium zu definieren, war eh schon eine fragwürdige Setzung – wenn es je um mehr ging, als den kleinen eigenen Garten vor der neuen Umgehungsstraße zu schützen.
Dafür läuft Beck nun häufig auf MTV, und jede Minute davon ist kostbar gewonnene Zeit vor der drohenden Apokalypse durch Paul McCartneys „Hope of Deliverance“, die alle das Fürchten lehrt, die etwas Besseres als den Tod suchen. Vor diesem Hintergrund würde ich die besten und obskursten Stücke aus meiner Plattensammlung gerne der Umfunktionierung zum Chartserfolg zur Verfügung stellen, wenn es denn nützen sollte, die MTV-Mainstreammacht wenigstens für einen Moment zur Aussendung bisher unterbliebener Nachrichten zu nutzen.
Dafür scheint Beck momentan den bestfunktionierenden Stoff zu liefern: die Aufladung Beastie- Boys-mäßig elastischen Samplings mit einem Downhome Blues- Groove, den man einem 23jährigen Einmann-Folkie, der sich wie die lebend gewordene Generation- X-Ikone zwischen McJob und Open-Mike-Auftritten in kleinen Musikclubs herumgetrieben hat, nicht gleich zutraut.
Soul Sucking Jerk
Aber dieser Blues wird gegen sich selbst ausgespielt, seine Aneignung ist nicht das Balsamträufeln auf die geplagte Seele des armen, unter die Räder gekommenen White Kids aus Suburbia. In das gemähliche musikalische Beweisen von Liebe zu sich selbst gegen alle Erniedrigung bricht in genau abgepaßtem Timing das Inferno eines anderen Grooves. Stell dir vor, wie jemand den entscheidenden Stellen irgendeines neueren Hollywood-Jungmännerdramas mit Brad Pitt, das du dir in deiner Videothek ausgeliehen hast, Ausschnitte aus einer Tom-und-Jerry- Folge kopiert hat und die beiden Elemente sich nicht einfach nur stören, sondern in einen merkwürdigen Dialog treten. In Beck-Stücken wie „Whiskeyclone, Hotel City 1997“ und „Soul Sucking Jerk“ ist dieser andere Groove der verzerrte pochende Rhythmus einer offenen Schlagader, die sich zwar vorläufig wieder schließen läßt, deren Präsenz aber unterschwellig gegenwärtig bleibt und die vordergründige Gefälligkeit der soften Stellen bricht.
Eine der wichtigsten Blaupausen für die Homerecording-Ästhetik der Neunziger ist Daniel Johnston, ein von Sonic Youth bis Nirvana ausgiebig rezipierter und verehrter genialer Songschreiber. Aus Johnstons Stücken spricht eine von verzweifelter Popromantik überdeckte Depression, die gerade in der technisch besonders schlechten Aufnahmequalität dämonisch transzendiert ist. Und vielleicht ist die Sichtbarmachung der technischen Übertragung durch deren forcierte Fehlerhaftigkeit im Homerecording gerade die von „Jenseits“ ausgesprochene Wahrheit des Popsongs, die die prinzipielle Künstlichkeit von Echtheitsgefühlen klarmacht und gerade genießbar werden läßt.
Vierspur- Miniaturdramen
Lou Barlow, Ex-Bassist von Dinosaur Jr., setzt diese junge Tradition fort, und zwar mit seinem jüngsten Solowerk, das diverse auf Singles und Compilations veröffentlichte Vierspur-Miniaturdramen auf einem Album zusammenfaßt. Die englische Folklegende Nick Drake ist viel zu früh gestorben, aber seine weiche, tragende Stimme scheint in Barlow überlebt zu haben, allerdings überführt in das an Johnston angelehnte Sound-Szenario (die rumpelnden Klavier- und Harmonica-Einsprengsel, der zum Teil wie aus dem Schlafzimmerschrank heraufsäuselnde Gesang).
Dieses verstörende Element nimmt den Liebesschwüren und Klagen über sexuelle Not ihre Kraftlosigkeit und gibt ihnen den Adel der dunklen Verwirrung – was nicht heißen soll, daß sich ein eigentlich fröhlicher und wohlgemuter Barlow an anderer Leute Leid schadlos hält. Hier reimt sich nicht ohne Grund Sarkasmus auf Orgasmus. Barlow hat wohl selbst irgendwann seine Musik „Losercore“ genannt, nicht ahnend, daß einmal die Zeile „I'm a loser baby, so why don't you kill me“ an der Supermarktkasse gesummt werden würde.
Während Beck auf diese Situation zusteuert und sie offensiv bearbeitet, verbleibt Barlow in der Behauptung der absoluten Mainstream-Negation; wie lange das noch durchzuhalten ist, ohne Gartenzwergstatus zu erlangen, bleibt dabei die Frage. Aber man darf vermuten, daß Barlow als Sänger seiner Band Sebadoh mit deren nächster Veröffentlichung dicksten Collegeradio-Erfolg und vielleicht mehr ansteuern wird, so daß sich Negation per Solo-Standbein noch mal gut macht.
Chris Knox ist von Neuseeland aus wahrscheinlich noch nicht so arg mit der Frage konfrontiert, ob in absehbarer Zeit die Talentscouts von Geffen vielleicht auch bei ihm an der Haustür klopfen werden, obwohl er eher noch wie Barlow seine Stücke mit einem aufgeweckt stampfenden Rhythmus unterlegt und an passender Stelle die Fuzzgitarre drüberbrät. Aber er sollte sich nicht zu sicher sein. Ich erinnere mich noch gut, daß „The Brain that woldn't die“, eine Vierspuraufnahme seiner Band The Tall Dwarfs, als früher Vorläufer von „Loser“ ein kleinerer Indie-Hit war, zu dem man etwa 1987 in meinem örtlichen Club getanzt hat.
Entenförmiges Leid
Daß seine Platte „Duck Shaped Pain“ heißt und im Innencover diverse Enten, insbesondere Donald Duck, abgebildet sind, verleitet mich zu der Hoffnung, daß das Zeitalter der konformistischen Mickey Mouse in der Popmusik nun endgültig zu Ende geht und jetzt der um seinen Loserstatus wissende, aber dabei unzynisch bleibende Donald – Tick, Trick und Track zu seiner Seite – wieder an Boden gewinnt. Daß Dagobert auch daran verdient, ist ohne Revolution erst mal nicht zu ändern. Aber vielleicht lassen sich so auch ein paar Wahrheiten an Stellen verbreiten, wo sie in der Regel unausgesprochen bleiben. Bis jetzt war ein Rape-Revenge-Stück wie „Not a Victim“, in dem Vergewaltiger-Eier krachen, gesungen von einem von der Bestseller-Feministin Susan Faludi dazu inspirierten Sänger, nicht in den Charts. Zu wünschen wäre es, wie allerdings auch, daß die Homerecording-Invasion kein reines Männervergüngen an der Wohnzimmerentrückung bleibt.
Vielleicht wird ja der nächste Film mit Tom Cruise auf Super 8 gedreht, vielleicht werden nach Beck bald auch Barlow und Knox in den Charts sein und öffentlich ihre McDonald's-Uniformen verbrennen und mit ihnen Ween und Smog und Daniel Johnston ...
Beck: „Mellow Gold“ (Geffen/ MCA)
Lou Barlow und his Sentridoh (Cityslang/EfA)
Chris Knox: „Duck Shaped Pain“ (Flying Nun/RTD)
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