Kamikaze-Kommando des Asphalts

■ 81. Tour de France: Massensprints verlangen viel Kraft, viel Glück und viel Mut

Rue (taz) – So geht das wirklich nicht, werte Schnelltreter. Die Flachetappen der ersten Tage der Tour de France sollten eure große Show werden. Aber was ist passiert: Massensturz in Armentieres, Veteranentriumph in Boulogne, Außenseitersieg in Portsmouth. Das gelbe Trikot ist euch total egal, Grün ist die Farbe eurer Träume, und nun seht ihr wohl rot.

Du zum Beispiel, einst gefürchteter Dschamolidin Abduschaparow, der du nicht mehr russisch, sondern nur noch italienisch palavern willst. Früher warst du berechenbarer. Der gerade Weg zum Ziel ist nicht der deine. In Wellenlinien füllst du die Breite der Straße aus. Wer in deine Nähe kam, lernte die Härte des Asphalts kennen. Doch was sind schon sechs Disqualifikationen wegen Rad-Rüpeleien gegenüber 34 Profisiegen. Und was ist von deinem schaurigen Ruf geblieben?

Schon beim Giro d'Italia hast du sie abgelehnt, die Einladung zum Rempeln. Der Italiener Leoni stürzt in deiner Nähe. Und du? Schuldlos. Das wäre dir früher nicht passiert. Auf der ersten Tour- Etappe nach Armentieres, die du gewinnst, fliegen hinter dir acht Fahrer durch die Luft – ohne dein Zutun. Du spielst die Rolle des Bösewichts nur noch mangelhaft, verehrter „Abdu“, denkst wohl nur noch an deinen neuen Jeans-Laden in Taschkent, den ersten im fernen Usbekistan. Kein Wunder, daß dich keiner mehr „Bomber aus Taschkent“ oder „usbekischer Rambo“ nennt. Dann mußt du eben harmlos verkleidet im grünen Trikot des besten Sprinters durch die Gegend radeln.

Und was ist mit dir, Monsieur Laurent Jalabert, nun sei mal nicht mehr traurig wegen des Sturzes auf der ersten Etappe. Hast doch siebenmal bei der Spanien-Rundfahrt gewonnen, soviel Freude erleben viele Kollegen ein ganzes Jahr lang nicht. Glück hast du gehabt, daß der Polizist sich euch tapfer in den Weg warf. Sonst wär't ihr noch ins Absperrgitter gerast. Radsport ist doch toll, oder?

Obwohl, wer will schon mit Olaf Ludwig tauschen? Wird er doch dreimal Zweiter im Sprinterwirbel gegen die komplette Weltspitze, sofern sie nicht gerade im Krankenhaus liegt, und trotzdem reden alle nur vom Verlierer. Mensch Olaf, Expreß aus Thüringen, nun aber Schwung ans Pleuel oder Druck aufs Pedal. Gegen Abdushaparow (1. Etappe) kann man mal verlieren, okay. Aber wer ist denn van Poppel (2. Etappe)? Über 30 Jahre alt, der Holländer, seit neun Jahren Profi, kaum Hilfe von seiner Mannschaft. Und so einer hängt dich ab? Dabei ging bei Telekom doch wirklich die Post ab, andauernd strampelst du als Erster auf die Zielgerade. Vorgestern wieder in Portsmouth: „Abdu“ hinter dir, van Poppel nicht zu sehen und trotzdem nicht gewonnen. Wer ist denn nun wieder Nicola Minali? Fährt zum ersten Mal die Tour, und den laßt ihr gewinnen?

Da macht man sich schon Sorgen um deine Zukunft, geschätzter Olaf Ludwig. Einen neuen Vertrag hast du ja bekommen, aber erfolgsbezogen soll er sein. Könntest fünf Millionen Mark verdienen, aber nur bei 30 Siegen pro Saison. In diesem Jahr warst du dreimal Erster, dafür aber sechsmal Zweiter. Dafür gibt es keine Prämien, das solltest du schon kapiert haben, fünf Jahre nach der Wende. Mit deinen 34 Jahren bist du ja auch nicht mehr der jüngste. Sparst eben deine Kräfte auf fürs Wesentliche. Kaum kommt ein kleiner Hügel wie auf der 4. Etappe nach Brighton, schon verlierst du über fünf Minuten. Kann ja mal passieren, du 127. des Gesamtklassements, aber dann darfst du auf den letzten zehn Metern beim Zielspurt auch nicht schlapp machen, wenn's um die Sprinterkrone geht.

Nun gut, Abduschaparow, Ludwig, van Poppel, Martinello, ihr Männer mit dem schnellen Schlußtritt, viel Zeit bleibt euch nicht für die Show im „Sprint royal“. Bald kommen die Berge und mit ihnen euer Zittern, daß ihr drüberkommt. Zur Belohnung erwartet euch am 24. Juli der Pariser Champs-Élysées. Alles Gute! Ole Richards