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Hydraulisch durch Berlin gepreßt

■ Die wilde Sause des amerikanischen Ehepaars „Billary“ beim Hauptstadtbummel

Berlin (taz) – Armer Bill, arme Hillary. Da wird euch der Protokollchef, Dr. Heinrich Seemann, beim Berlin-Besuch aber mit der Hydraulikpresse durchs Programm quetschen. Eine Planung ist das, mit nachgerade chirurgischer Präzision. Dagegen war die „Operation Desert Storm“ von schlampiger Schluffigkeit. Keine Ruh' ist da und kein Rasten.

Kaum habt ihr euch am Dienstag für das „Gespräch mit dem Bundeskanzler und dem Präsidenten der Europäischen Kommission, Herrn Jaques Delors, im Rahmen des transatlantischen Dialogs“ in „Raum 118“ („Bildtermin Pool B 4“) gemütlich aufs Reichstagssofa gefläzt („9.30 Uhr“), müßt ihr auch schon zur „Fortsetzung der Gespräche im erweiterten Kreis“ („10.00 Uhr“) nach „Raum 120“ („Bildtermin Pool B 5“) wetzen. Ein gutes Viertelstündchen mit Delors, das ist schon großzügig bemessen. Später wird es dann heißen: die Beinchen hurtig untern Arm nehmen, einen gaaanz langen Schuh machen.

Nur zehn Minütchen bleiben euch für den „Gang zum Brandenburger Tor gemeinsam mit dem Bundeskanzler und Frau Kohl“ inklusive der „Begrüßung durch den Regierenden Bürgermeister und Frau Diepgen“ („12.50 Uhr“), da heißt es schon volle Konzentration auf die „Ansprache des Bundeskanzlers und Präsident Clintons auf dem Pariser Platz“ („Bildtermin, offen, Tribüne“). So eine Hetzerei („13.00 Uhr“), und dann wird eine große historische Rede verlangt, wie weiland bei John F. Kennedy vorm Schöneberger Rathaus. Und alle warten auf einen geschichtsbuchträchtigen Satz wie: „Ich bin zwei Berliner?!“

War ja schon kaum Zeit fürs Frühstück heute morgen. Herr Dr. Seemann hatte Hillary zwei nette Extras ins Damenprogramm geschoben. Ein Treffen etwa mit Seehofer ...? Von wegen! Gemeinsamer Schulbesuch mit Hannelore „... und gemeinsame Teilnahme an der High School Graduation Ceremony“ („9.30 Uhr“), und dann flugs zum „Empfang zu Ehren von Frau Hillary Rodham Clinton, gegeben von Frau Hannelore Kohl für herausragende weibliche Persönlichkeiten im Schloss Charlottenburg“ („11.00 Uhr“).

Und huiiiii saust die Kolonne übers Brandenburger Tor (s.o.) zur Neuen Synagoge Berlin, wo der Pragmatiker „Herr Ignatz Bubis, Zentralrat der Juden in Deutschland“ („14.05 Uhr“) mit längst ausgefahrener Begrüßungshand wartet, um das Zeremoniell nicht unnötig in die Länge zu ziehen. Ihm bleibt nicht viel Zeit mit euch, denn es gilt geschwind für vier Fototermine („Pool B 7, B 8, B 9, B 10“) zu posen; eine halbe Stunde später nämlich, Fahrzeit inklusive, wartet schon wieder ganz umtriebig dieser Herr Diepgen im Rathaus, um euch Hanna-Renate Laurien und das Goldene Buch unterzuschieben („Bildtermin, Pool B 11“). Puuuh! Einmal Schweiß abwischen und den Deoroller durchs nasse Achselhaar gezogen, schon wartet unser Staatsschnorrer und... Halt! Was ist denn nun los! Eine Stunde und 15 Minuten hat euch der Theo Waigel („Raum 125“) abgebettelt? Na ja, das ist der Preis für eine Stunde kohlfrei. Das Kanzlerpaar harrt eurer („16.15 Uhr“) längst „in der MacNair-Kaserne“ zur „Verabschiedungszeremonie der amerikanischen Berlin- Brigade“ („Wegen Parkscheinen bitte unter Tel. 819 61 88 melden“). Vielleicht habt ihr ja auch Glück, und die Demonstranten gegen Li Peng sind noch wacker beim Protestieren. Dann könntet ihr porentief brüskiert die Mücke machen und Dr. Seemann ins Flattern bringen: Der müßte im Nu den „Abflug Berlin Tegel, 17.55 Uhr“ canceln und eine Maschine früher buchen. miß/thöm

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