: Strafe für "Mitläufer"
■ Urteile im Hoyerswerda-Prozeß / Bis zu vier Jahren Haft für einen "besonders schweren Fall von Landfriedensbruch"
Bautzen (taz) – Ein Hitlergruß muß es schon sein, wenn sich die nach Meinung eines Anwalts „ganz und gar unpolitischen“ Hoyerswerdaer Jungs im Gerichtssaal begrüßen. Im Großen Saal des Bautzener „Hauses für Kultur und Bildung“ wurden gestern die Urteile gegen 12 Hoyerswerdaer verkündet, die in der Nacht vom 19. zum 20. Februar 1993 den linken Jugendklub „Nachtasyl“ überfielen, Gäste zusammenprügelten und den 22jährigen Kraftfahrer Mike Zerna töteten.
Mit der Begründung seines Urteils führte der Richter am Bautzener Landgericht, Hans-Joachim Diener, zugleich vor, wie bestehendes Strafrecht, ohne die von konservativen Politikern gern geforderte „Verschärfung“, ausgelotet werden kann. Alle 12 Angeklagten wurden des Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall nach Paragraph 125a für schuldig befunden. Damit werden auch „Mitläufer“ voll zur Verantwortung gezogen. Diener stellte klar: „Als Unterstützer förderten sie geradezu die Gewaltbereitschaft der Haupttäter, machten diese erst möglich.“ Er bezog sich auf die Gewalttaten in Magdeburg und erklärte: „Potentiellen Tätern muß klargemacht werden, daß man sich später nicht einfach mit Neugier herausreden kann.“
Mit dem Strafmaß blieb das Gericht aber unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Es folgte nicht deren „Mord“-Auffassung. Statt dessen verurteilte es zwei Jugendliche wegen Totschlags durch Unterlassen zu Freiheitsstrafen – Silvio T. zu vier Jahren, Kay K. zu drei Jahren und drei Monaten. Erwiesen sei, daß beide Täter den unter seinem umgekippten Kleintransporter begrabenen Mike Zerna gesehen haben. Erst Silvio T., dann Kay K. hatten gerufen: „Eh, da liegt einer“, aber zur Rettung nichts unternommen. Für die anderen Angeklagten spricht die schlechte Beweislage. Zwar sei nach Auffassung des Gerichts unstrittig, daß die Warnrufe gehört wurden. Es sei aber eher unwahrscheinlich, daß die besoffene Gruppe diese Rufe ihrem eigenen Handeln zuordnen konnte.
Sechs weitere Jugendliche, die sich am Exzeß vor dem und im Klub beteiligt hatten, wurden zu Freiheits- und Jugendstrafen zwischen drei Jahren und 3 Monate und vier Jahren verurteilt. Der als Anführer des Überfalls überführte Hans-Michael P. muß für vier Jahre hinter Gitter. Er bereute nichts, aber er bekannte sich in der Beweisaufnahme als einziger offen zum Rechtsradikalismus. Dafür steht er bereits mit einer Liste von Straftaten. Im September 1992 gehörte er zu den Auslösern des rassistischen Pogroms gegen AusländerInnen in Hoyerswerda; damals war er noch auf Bewährung davongekommen. Gegen vier Täter setzte das Gericht Freiheits- und Jugendstrafen bis ein Jahr und 9 Monate zur Bewährung aus.
Mit eisiger Ablehnung reagierten die Anwälte. Auf die irritierte Frage des Richters, ob „jemand“ das Urteil annehme, grummelte es nur von der Anklagebank. Die meisten Anwälte werden Revision einlegen. Gerda Zerna, die Mutter des Opfers, mußte sich dadurch noch einmal verletzen lassen. „Ich habe hier soviel Milde, Verständnis für die Angeklagten erlebt“, sagte sie zum Abschluß. „Mein Sohn ist in keinen anderen Verhältnissen aufgewachsen als diese Jungs.“ Detlef Krell
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