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Gorleben lebt. Die Anti-AKW-Bewegung hat ihr altes Symbol wiederentdeckt. Im Wald neben dem Atomlager steht ein neues Hüttendorf. Heute wird demonstriert. Die SPD-Landesregierung möchte ein wenig mitmarschieren. Von Jürgen Voges

Es ist wieder fünf vor zwölf

„Wir geben keine Entwarnung, es bleibt dabei: Wir stellen uns quer“, sagt Marianne Fritzen, die heute siebzigjährige Sprecherin der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Aber die resolute, wahrhaft altgediente Kämpferin gegen die Atomanlagen im Wendland konnte gestern auch feststellen: „Die Landesregierung hat unseren Widerstand unterschätzt.“ Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder und seine Umweltministerin Monika Griefahn wollen es jetzt um das Gorlebener Castor-Lager zumindest zu einem Konflikt mit dem Bundesumweltminister kommen lassen. Der erste Transport von hochradioaktivem Müll in das nach dem „Castor-Behälter“ benannte Zwischenlager wird sich nun wohl verzögern, vom Tisch ist er damit keineswegs.

Schröder und Griefahn haben beide den Landkreis besucht. Das hat ihre Haltung des Wir-können- nichts-machen gelinde erschüttert. Im Wald, der beim Zwischenlager und dem Endlagerberg dem AKW-Gegner und Grafen Andreas von Bernstorff gehört, ensteht wieder ein Hüttendorf. In der Nähe des „Trafohäuschens“ hatten sich am vergangenen Wochenende an die hundert junge Leute in zehn selbstgebauten Behausungen, aber auch in Zelten niedergelassen. Viele von ihnen stammen aus Jugendumweltgruppen.

Die Bürgerinitiative hofft, daß die Zahl der AKW-Gegner direkt am Ort des Geschehens an diesem Wochenende noch einmal kräftig zunimmt. Schließlich war der heutige Samstag als „Tag X minus 2“ geplant. Der kommenden Montag war der früheste Termin, zu dem der im AKW Philippsburg mit wohl sieben hochradioaktiven Brennelementen beladene Castor in Richtung Wendland auf den Weg gebracht werden konnte. Auch wenn sich alles nun noch verzögert, demonstriert wird heute am Zwischenlager dennoch – und zwar um fünf vor zwölf.

Die ganze Palette des immer auch ein wenig bodenständigen Widerstandes haben die AKW- Gegner in den vergangenen zwei Wochen noch einmal mobilisiert. Da konnte man in Lüchow runde sechzig AKW-Gegner hoch zu Roß bewundern. Da waren Schüler mit dem Fahrrad gegen den Castor unterwegs. Die „Bäuerliche Notgemeinschaft“ meldete sich mit über 30 Traktoren zurück und warnte per Transparent: „In einem Castor steckt die Sprengkraft von 35 Hiroshima-Bomben“. Pfarrer, die auch als AKW-Gegner den Talar nicht ausziehen wollen, legten sich mit ihrer Kirchenleitung an.

Auch die Blockade von Straßen und Bahnstrecken wurde schon mal geprobt. In der lokalen Elbe- Jeetzel-Zeitung bekannten sich täglich neue Gruppen zum Widerstand: Die „Initiative sechzig“, deren ältestes Mitglied 83 Jahre zählt, will „in der ersten Reihe stehen, wenn der Castor kommt“. In Zeitungsanzeigen schrieben sie: „Wir sind nicht ohne Furcht – wir haben aber keine Angst.“

Auch die Regierung möchte mitdemonstrieren

Da wollen sich nicht nur Musikgruppen oder Biobetriebe „querstellen“, auch über 50 Ärzte, Tierärzte, Zahnärzte und Apotheker des Lankreises kündigen ihren Widerstand an. Vor allem bei der SPD ist dies alles nicht ohne Wirkung geblieben. Zunächst kündigten lokale SPD-Größen ihre Beteiligung an den Aktionen gegen den Castor an, danach wollten sich auch einzelne SPD-Landtagsabgeordnete auf die Straße stellen, den Blick fest auf die grüne Konkurrenz gerichtet.

Für die SPD-Umweltministerin Monika Griefahn, einst Geschäftsführerin bei Greenpeace, gilt allerdings weiterhin das vom Landeskabinett verordnete Demonstrationsverbot. Monika Griefahn hatte am Donnerstag bei einem Besuch im AKW Philippsburg noch einmal ihr ganzes politisches Gewicht gegen den Castor-Transport in die Waagschale geworfen. Ohne sichtbaren Erfolg. Auch ihr Verweis auf die gemeinsame Energiekonsenssuche konnte die Betreiber des AKWs nicht von dem Transport der Brennelemente nach Gorleben abbringen. Man räumte zwar offen ein, daß für diese Reise quer durch die Republik keinerlei zwingende Notwendigkeit bestehe, daß in Philippsburg noch Lagerkapazität für die strahlende Ladung bis zum Jahr 2011 vorhanden sei. Aber Griefahns Gesprächspartner blieben bei ihrer Absicht, das Gorlebener Lager zum jetzigen Zeitpunkt in Betrieb zu nehmen. Der beim Bundesamt für Strahlenschutz beantragte Castor-Transport sei Bestandteil einer „abgestimmten Aktion aller deutschen Kernkraftwerksbetreiber“, ließen die Vorstände von Badenwerk und Energieversorgung Schwaben, Gerhard Goll und Winfried Steuer, die Ministerin wissen.

Monika Griefahn will nun die technischen Unterlagen, die beim Niedersächsischen Umweltministerium vor dem Transport einzureichen sind, sehr genau prüfen. Wenn möglich, will sie dem Transport die Zustimmung verweigern – bisher hatte die gesamte Landesregierung stets die Auffassung vertreten, daß sie eben das nicht könne.

Mit starken Worten hat inzwischen auch der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder Front gegen den Transport gemacht. Er hält ihn für „vollkommen unnütz und überflüssig“, für eine „Provokation, mit der schon jetzt Stimmung im Vorwahlkampf gemacht werden soll“.

Einer Dienstanweisung des christdemokratischen Bundesumweltministers, die so gut wie sicher ist, sollte Monika Griefahn ihre Drohung wahrmachen, will sich Schröder allerdings nicht widersetzen. Wenn der Castor-Transport einmal unterwegs ist, will der Sozialdemokrat ihn „mit allen Mitteln des Rechtsstaats“ ins Zwischenlager bringen, sagte er vor laut pfeifendem Publikum in Hitzacker.

So ist es folgerichtig, daß die BI keineswegs Entwarnung geben will. Der Castor wird kommen. Bisher ist nur eine kleine Pause von ein paar Tagen bis ein paar Wochen erkämpft.

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