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Und Castornix wird siegen!

■ 2000 AtomkraftgegnerInnen beim Blockadebeginn vor dem Zwischenlager in Gorleben / 30 Traktoren als Sperre vor dem Tor Von Kai von Appen

„Die Kundgebung ist beendet, die Belagerung hat begonnen.“ Mit diesen Worten leitet am Samstag mittag eine Sprecherin der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg eine neue Runde im Kampf gegen die geplante Inbetriebnahme des atomaren Zwischenlagers in Gorleben ein. 2000 Menschen sind ins Wendland gekommen, um in den nächsten Tagen mit Aktionen die angekündigte Einlagerung des ersten Castors mit hochradioaktiven Brennelemenenten aus dem Atomkraftwerk Philippsburg bei Karlsruhe zu verhindern.

Minuten zuvor hatte ein heftiges Treiben eingesetzt. Fieberhaft zimmern AtomgegnerInnen in dem Waldstück an der Straße Gorleben-Gedelitz nahe dem Zwischenlager an dem Hüttendorf „Castornix“ – eine Neuauflage der „Republik Freies Wendland“, die 1980 den Atombau für Monate verhinderte.

Die Holzhütten-Kolonie wird den AktivistInnen in den nächsten Tagen (oder Wochen) als Unterkunft und für Infotreffs zu Verfügung stehen, um die Aktionen vorzubereiten und langen Atem zu gewährleisten. Bauern aus der Region haben mit rund 30 Traktoren unterdessen die Zufahrt zum Lager blockiert. Strohballen werden zu Tischen und Stühlen umfunktioniert. An den Seiteneingängen errichten Aktivisten Barrikaden.

BI-Sprecher Peter Bauhaus zeigt sich über die rege Teilnahme überrascht. Bauhaus: „Es ist uns gelungen, in wenigen Tagen viele Menschen zu mobilisieren. Wir müssen jetzt auf der Hut sein, nicht ausgetrickst zu werden.“ Bauhaus meint damit den jüngsten Vorstoß des niedersächsischen SPD-Landeschefs Gerhard Schröder. Nachdem er jahrelang behauptete, atomrechtlich nicht gegen die Einlagerung vorgehen zu können, hat er sich nun – Hintergrund: die Bundestagswahl – scheinbar an die Spitze der Bewegung gesetzt und durch Umweltministerin Monika Griefahn die zehn Jahre alte Transportgenehmigung annullieren lassen. Bauhaus: „Wieso geht plötzlich etwas, was vorher angeblich nicht ging? Wir werden sehen, ob es einen Aufschub gibt und wie lange dieser gilt.“

Die Bürgerinitiative setzt in ihrem Kampf vor allem auf die neue Generation der Anti-Atombewegung sowie auf die heimische Bevölkerung. Viele junge Leute – SchülerInnen und StudentInnen – sind ins Wendland gekommen. Nur vereinzelt sind Veteranen ausfindig zu machen, die schon vor Jahren das Atomlager be- und die Wiederaufbereitungsanlage verhinderten.

Mehrfach haben in der vorigen Woche Kids durch Blockaden in Lüchow und Dannenberg dem Atomstaat Zähne gezeigt. In einer Anzeige im Lokalblatt kündigen 259 Wendland-Schüler an: „Wenn ihr unsere Leben nicht achtet, achten wir nicht Eure Gesetze. Denn Eure Gesetze schützen die Atomindustrie, aber nicht unsere Gesundheit.“ Bauhaus ergänzt: „Niemand weiß, wie der Atommüll für Jahrtausende vor der Umwelt geschützt gelagert werden kann. Das ist ein Verbrechen an dieser und allen kommenden Generationen.“

Unruhe herrscht auch bei der Polizei, die den Castor-Transport schützen soll. Die Gewerkschaft der Polizei nannte die Aktion eine „unnötige Provokation“, weil die Brennelemente problemlos weiter in Philipsburg gelagert werden könnten. Die Polizisten würden wieder als „Puffer“ mißbraucht. Das Hannoveraner Inneministerium äußerste zudem heftige Sicherheitsbedenken. O-Ton: „Von dem Einsatz von Polizeibeamtinnen und minderjährigen Poilizeibeamten sollte aus medizinische Gründen dort abgesehen werden, wo sie einsatzbedingt einer Strahlenbelastung ausgesetzt sind.“ Im Klartext: Es werden durch die 200 Milirem Strahlenbelastungen Erbschädigungen befürchtet.

„Das ist garnicht umzusetzen“, entgegnet ein Einsatzleiter vor Ort. Mittlerweile seien soviele Frauen bei der Bereitschaftspolizei im Dienst, daß auf ihren Einsatz in umittelbarer Nähe des strahlenden Castors nicht verzichtet werden könne. Für den älteren Polizeibeamten – der selbst im Wendland wohnt – stellt sich daher die Frage, wann der Punkt gekommen ist, den Dienst zu quitttieren: „Das wird wohl eher eine Momententscheidung sein.“ Dabei spielen für ihn weniger die zahlreichen Demonstranten aus der Nachbarschaft eine Rolle, sondern der Zeitpunkt, zu dem er den Beteuerungen der Atomlobby nicht mehr glaubt. Nachdenklich: „Wenn ich es nicht mehr verantworten kann, muß man einen solchen Schritt gehen.“

Urpünglich sollte der Castor heute Philipsburg verlassen und morgen oder Mittwoch im Wendland ankommen. Neben den Aktionen vor Ort sind auch diverse Schienenblockaden in Norddeuschland vorgesehen, um den Castor zur Rücckehr zu zwingen.

Siehe auch Reportage Seite 11

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