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Nicht gekreuzigt und sterbensglücklich

■ Tore der beiden Baggios bringen Italien ins Halbfinale / Spanien bleibt nur eine blutende Nase

Berlin (taz) – Das Volk Italiens, ach, es schwankt und taumelt. Voller Wankelmut ist es, zwischen Trübsal und Größenwahn. Am Freitag noch waren 80 Prozent aller Befragten der Meinung, Trainer Arrigo Sacchi sei unfähig und verunsichere seine Kicker, anstatt sie zu stärken. Nur unglaublichem Glück habe er den Einzug ins Viertelfinale gegen Spanien zu verdanken. Tags drauf, kaum war die Sache im guten erledigt, ermittelte das staatliche Fernsehen RAI: 74 Prozent glauben, nun würden die azzurri am 17. Juli auch Weltmeister.

Unter den Euphorikern auch Luciano Pavarotti: „Das ist Italien, wie wir es sehen wollen. Während des ganzen Spiels war ich stumm wie ein Spätzchen vor einer Schlange.“ Pavarotti ein Spätzchen! Aber die zwei Tore der beiden Baggios hatten nicht nur den nilpferdgewichtigen Tenor verwirrt und für innere Aufregung gesorgt. Etwas pikiert mußte beim Weltwirtschaftsgipfel G 7 der US- Finanzminister Lloyd Bentsen seine Pressekonferenz abbrechen, weil ihm in völliger Panik die Journalisten davonrannten, um die Zeitlupe eines Tores zu bewundern.

Ähnliche Turbulenzen gab's im Saale von Bill Clinton, dem mühsam erklärt werden mußte, daß das ganze Tohuwabohu allein dem soccer zu verdanken sei. Gipfelmäßig titelte gestern Tuttosport: „Wir sind im Halbfinale. Italien bei den G 4. Baggio, die Tore-Dynastie.“

Derweil konnte Sacchi erst einmal tief durchatmen und seinen Spielern Ruhe gönnen. Mit der nämlich wäre es aus gewesen, wie Verbandspräsident Antonio Matarrese düster schwante: „Man war schon in ganz Italien bereit, uns alle, bis zum letzten Handlanger, zu kreuzigen.“

Da war Roberto Baggio vor, wie schon gegen Nigeria. Kurz vor Schluß überlief er Zubizarreta und wurde durch seinen Torschuß „sterbensglücklich“. Gut möglich ist das, denn die italienische Elf, die endlich ein Spiel komplett beenden durfte, stand „am Schluß nicht mehr auf den Beinen“ (Sacchi). „Die Spanier waren frischer. Wir haben sehr gelitten“, befand auch der Sterbensglückliche.

Säuernis beschlich deshalb die Unterlegenen. Keeper Zubizarreta nölte, „die bessere Mannschaft hat heute verloren“, und Trainer Javier Clemente meinte: „Das ist sehr schade. Wir hatten das Spiel fast gewonnen, aber der Schiedsrichter war fürchterlich. Er hat in der Nachspielzeit ein klares Foul an Luis Enrique nicht geahndet.“ Wohl wahr. Tassotti hatte dem armen Kerl – im Strafraum, in der Nachspielzeit! – mit einem hinterhältigen Ellbogenstoß das Nasenbein zerschmettert, welches nunmehr seiner Operation harrt.

Es stimmt schon: „Spanien reist blutend ab“ (El Mundo). thöm

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