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J'abuse!

Bernard-Henri Lévy hat seinen Film „Bosna!“ in Berlin vorgestellt  ■ Von Mariam Niroumand

Seit etwas über einem Jahr zirkulieren „Sarajevo-Filme“ auf internationalen Filmfestivals und verleihen ihnen diesen Hauch von Relevanz, der sonst so schmerzlich fehlt. Die wenigsten sind – wen könnte das wundern – aus der Binnenperspektive gedreht. Der pointierteste davon ist „Mizaldo“, dessen Protagonisten als Pat & Patachon joggend durch die Sniper- Schneisen flitzen, im Smoking ein Unprofor-Plastikmenü verspeisen oder verstört blickenden Nachbarinnen Liebeslieder singen. In „Mizaldo“ tritt auch Bernard-Henri Lévy auf; er geht auf und ab in den Ruinen der zerstörten Bibliothek, angetan mit dem berühmten weißen Hemd, die Hand bedenklich am Kinn, bis es knallt und die Contenance dahin ist. Während der Philosoph in Deckung huscht, schiebt einer der beiden Regisseure noch ein hämisch grinsendes Gesicht in die Kamera. Die Distanz bleibt; wir und nicht ihr seid hier die Belagerten.

Ehrenbürger

Lévy selbst versucht, diesen Abstand in seinen beiden Filmen über Sarajevo, dessen Ehrenbürger er inzwischen ist, zusammenschnurren zu lassen. „Wir fragen uns: Warum laßt ihr uns allein“ – wieder und wieder positioniert er sich mit solchen Sätzen als Bauchredner, als ideeller Bosnier. Die Kamera setzt er ein wie eine Magensonde: Unter den inzwischen etwa dreißig Sarajevo-Filmen ist Lévys am Donnerstag in Berlin vorgestellter Film „Bosna!“ wohl der viszeralste, düsterste, blutigste. Im Stop-and-go-Rhythmus lockert oder festigt er seinen Würgegriff: Während man ihn zunächst im Morgennebel hinter General Divjak über die Hügel und durch die Schützengräben um die Stadt stapfen sieht, sieht man im nächsten Moment, wie ein Lkw-Fahrer sein zerschossenes Bein auf der Straße robbend hinter sich herzieht, um den Scharfschützen zu entkommen; dann wieder eine ruhige Passage, dann verletzte Kinder, die aus Hubschraubern getragen werden; gefolgt wieder von ein bißchen Philosophie, dann wird blutiger Schnee geschippt, werden abgetrennte Köpfe geborgen.

„You do it only for yourselves!“ rief ein bosnischer Zuschauer nach der Präsentation auf der Berliner Sommerakademie: „Sarajevo erstickt unter diesem Ballast von Metaphern, Paradigmen, Symbolen, die Leute wie Sie oder Frau Sontag uns überstülpen! Nehmen Sie es nicht persönlich, aber die Intellektuellen wollen doch bei uns nur ihre Frustrationen bewältigen: Europa, das Jahrhundert – alles soll in Sarajevo anfangen und enden.“

Lévys erster Film zum Thema, „Ein Tag im Sterben von Sarajevo“, war in der Tat hauptsächlich ein Porträt der Stadt als „Jerusalem Europas“, als Hort des Laizismus, des Kosmopolitismus und der aufgeklärten Religiosität, mit Bildern der verbrannten Bibliothek im Zentrum der Ikonographie.

In „Bosna!“ geht es um etwas anderes. Ein System von Querverweisen wird gestrickt: „Sind nicht diese Schützengräben dieselben wie die in Spanien 1936, und fragen sich nicht die bosnischen Soldaten, die wissen, daß sie unsere Freiheit verteidigen mit schlechten Waffen, warum sie so allein sind, genau wie damals die Soldaten der Republik?“ Wie München 1939, wie Ungarn 1956, Prag 1968, Chile 1972, Afghanistan – und, natürlich: wie das Warschauer Ghetto, wie Auschwitz. Bücherverbrennung 33, Bibliothek von Sarajevo 1993.

Mitterrand erhält in diesem Netzwerk einen Platz neben Léon Blum, dem französischen Ministerpräsidenten, der 1936 auf Druck von Churchill („etwas Besseres als ein Land, in dem Bolschewisten und Faschisten sich gegenseitig umbringen, kann der Menschheit doch gar nicht passieren“) der spanischen Republik die Unterstützung mit Artillerie verweigerte. Mit derselben Unbekümmertheit führt ein anderer Faden auch von ihm, Lévy, zu André Malraux, mit dessen todesmutigem Sprung in die spanischen Schützengräben auch er selbst zum Partisan wird. Lévy hat nur etwa fünfzig Prozent des Materials selbst gedreht, also nicht sein Leben riskiert, was man ihm beim besten Willen nicht verübeln kann. Der Rest stammt aus unbearbeiteten Archivbeständen der bosnischen Armee. Diese allerdings werden auf eine Weise mit den eigenen montiert, daß man eben doch den Eindruck haben muß, er käme unmittelbar von der Front zu uns.

Frontberichterstatter

Der Gestus des Films, das verhaltene, wohlmodulierte Tremolo, weist dann aber auch ganz zurück zu Émile Zola und seinem J'accuse!, zu Voltaire, und schließlich, pourquoi pas, zu Jesus selbst, beziehungsweise zum Messias. Aufnahmen aus serbischen Konzentrationslagern kommentiert Lévy, unterlegt von leisem musikalischem Donner über einem Streichkonzert: „Die Gesichter aus den KZs sind wieder zurückgekehrt nach Europa.“ Spätestens da stellt sich ein eigentümliches Gefühl ein. Wieso zurückgekehrt? Gleicht der Ton nicht dem eines Priesters, ist da nicht ein biblisches Motiv gezeichnet, tritt da nicht, trotz der vielen Jahreszahlen, eine eigentümliche Geschichtsleere ein: die ewige Wiederkehr der Barbarei in immer neuem Antlitz, sogar die Opfer kehren immer wieder?

„Der größte Trick des Teufels ist, uns glauben zu machen, es gäbe ihn nicht“, sagte Lévy einem erstaunlich einverstandenen Berliner Publikum. Zwei Serben kommen im Film zu Wort: General Diviak, der auf seiten der Bosnier kämpft, also irgendwie schon kein Serbe mehr ist, und ein gefangener serbischer Soldat, der mit blutunterlaufenen Augen, dumpfen Blicks und raunender Stimme beschreibt, wie er zwölf Männern die Kehle durchgeschnitten, sechs Frauen vergewaltigt und zwei von ihnen anschließend erschossen habe. Pyromanen, Bücherverbrenner, haßgetriebene Tiere – in keinem Punkt unterscheidet sich Lévys Porträt „des Serben“ von der Art, wie man hierzulande über die Soldaten der Roten Armee sprach – Untermenschen aus der Mongolei, ohne Sprache, ohne Kultur; solchen ist natürlich mit Verhandlungen nicht beizukommen. Über einen Soldaten der bosnischen Muslime heißt es hingegen, daß er immer, bevor er in die Schlacht gehe, noch einen Blick in Tolstois „Krieg und Frieden“ werfe.

Das alles wäre maximal tauglich für ein Pausengespräch auf Filmfestspielen, hätten nicht der Film und die kurz nach dessen Cannes- Premiere ins Leben gerufene Europawahl-Liste „Europa beginnt in Sarajevo“ während des Wahlkampfs in Frankreich dermaßen Furore gemacht. Mit dem Arzt Léon Schwartzenberg an der Spitze, an der Seite von Françoise Giroud, André Glucksmann, Alain Tourraine und anderen hatte BHL, wie berichtet (taz vom 28.5.) vor allem die Sozialistische Partei Mitterrands in Verlegenheit gebracht. Ihren Forderungen: keine Teilung Bosniens, Aufhebung des Waffenembargos, Durchsetzung der UNO-Resolutionen beugte sich Mitterrand natürlich nicht. Aber keine Partei kam mehr an dem Thema Bosnien, das zu diesem Zeitunkt weit in den Hintergrund gerückt war, vorbei. Das System BHL funktionierte auf allen Kanälen, nicht nur auf arte, dessen Präsident er ist, oder in seiner eigenen Zeitschrift La règle du jeu, sondern auch in den wichtigsten Talkshows, von „Heure de vérité“ bis „Bouillon de culture“ – überall hörte man die gleiche, erboste Stimme. Auf meine Frage, warum er die Liste dann kurz vor dem Ziel eingestellt habe, sagte Lévy in Berlin: „Unser Ziel war, Bosnien in den Mittelpunkt des Wahlkampfs zu stellen, auf alle Parteien Druck auszuüben. Das haben wir erreicht. Unser Ziel war nicht, ein moralisches Ghetto herzustellen. Wissen Sie, ich habe mir auch das befriedigte Lächeln von Karadžić oder Milošević vorgestellt, wenn sie die Nachricht erhalten, daß eine Liste Sarajevo aus Frankreich, dem Land der Menschenrechte, dem Land, dessen Bürger den meisten Anteil am Schicksal des bosnischen Vokes nehmen, nur drei oder fünf oder sieben Prozent der Stimmen bekommen hat, ein bißchen mehr als die Liste der Kommunisten, ein bißchen weniger als die Liste der Jäger und Fischer.“

Showtalent

Kann sein, daß es eigentlich um die Wahlkampfkosten ging, die man hätte zurückzahlen müssen, wenn die Liste unter fünf Prozent geblieben wäre, wie ihr das von Umfragen bedeutet worden war. Kann auch sein, daß man bereut hat, Rocard geschlagen zu haben, wenn man eigentlich Mitterrand treffen wollte. Aber was soll's: Im Gegensatz zum Film war die Liste ein vom Zweck geheiligtes Mittel.

Anstatt aber nun, wie Lothar Baier im Freitag, darüber zu greinen, daß so jemand den Titel „Philosoph“ verwirkt habe, weil er nichts sei als ein Medienkarrierist, „ein Profi von Show und Publicity“, sollte man sich doch eher für das von BHL repräsentierte Modell des Intellektuellen interessieren. Von wo aus spricht jemand, der biblische Töne mit dem Hemingway-Geraune des Partisanen und der gleichschwebenden Aufmerksamkeit des Lacan-geschulten Denkers verbinden kann? Und warum, vor allem, ist diese Stimme in Frankreich so beneidenswert öffentlich? Warum ist dieser Platz in Deutschland so vakant? Warum wird auf die Initiative hierzulande auch noch mit Ressentiments reagiert, das Media-Network BHL mit Klischees beschrieben, die oft hart am Antisemitismus entlangschrappen?

Prophet

Irgendwie drängt sich einem der Eindruck auf, daß sich dort, Medienmacht hin oder her, wie einbalsamiert eine Figur erhalten hat, die während der Dreyfus-Affäre geboren wurde: der Intellektuelle, der von außerhalb im Namen der Allgemeinheit, der Republik usw. in die Politik hineinruft und sie dabei mitunter vor dem blinden Machtkalkül, der rasenden Realpolitik rettet; ein bißchen Prophet, ein bißchen Mandarin, Snob, Analytiker und natürlich auch ein Künstler – sehr folgerichtig, daß BHLs Sache in Cannes ihren Lauf nahm. Der Soziologe Heinz Steinert meint, daß Adorno das letzte Aufbäumen dieser Figur hierzulande war, vor ihrer endgültigen Marginalisierung, nach ihrer Diskreditierung durch gefährliche Agitatoren.

Lévy selbst war offiziell gar nicht der Meinung, es gebe in Deutschland kein Pendant zu ihm; seit Böll/Grass und den „Wählt Willy“-Kampagnen sei durchaus etwas nachgewachsen: „In manchen Fällen sind sie meine Freunde: Ich denke an Dany Cohn-Bendit, Peter Schneider und Hans Christoph Buch, die alle demnächst zu uns nach Paris kommen, wo wir am ThéÛtre de L'Odéon ein Treffen vieler Intellektueller aus ganz Europa organisieren. Das Treffen wird heißen ,L'Europe commence à Sarajévo, Kigali et Algier‘.“ Et Aden? Et Chiapas? Et Cetera?

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